Tessin ist nicht nur der Kanton, sondern auch der Hauptfluss, der am Nufenen entspringt, den Lago Maggiore durchfliesst und bei Pavia in den Po mündet. Die „Expedition Fauna & Flora“ des SAC Homberg interessierte sich für das Quellgebiet im Bedrettotal und die Mündung in den Lago Maggiore, die Bolle di Magadino.

Alpenrosen im Bedrettotal
Alpenrosen im Bedrettotal

Im Quellgebiet des Tessin

Nicht gerade optimal, zur Hauptreisezeit in den Tessin zu reisen. Dies stellte unser Umweltingenieur im SAC fest, wenn auch etwas spät. Wir entschieden uns daher für eine Pässefahrt: Brünig, Grimsel, Nufenen. Und wir waren immer noch schneller, als wenn wir durch das Loch gefahren wären. So starteten wir die Expedition Fauna & Flora unter der Leitung unseres Umweltingenieurs Philipp Schuppli kurz ennet dem Nufenen zur Wanderung ins Mündungsgebiet. Dass wir gleichzeitig auf dem Vier-Quellen-Weg unterwegs waren, realisierte ich erst später.

Tümpel säumten den Weg, darin ist viel mehr Leben, als man auf den ersten Blick annimmt. Bergmolche tummelten sich darin, Wasserläufer, Rückenschwimmer und andere Wasserinsekten ebenfalls. Als wir näher kamen, machte es überall platsch – platsch – platsch, Grasfrösche sprangen ins Wasser. Aber nicht nur im Wasser war was los, auch auf den Alpwiesen und in der Luft. Steinschmätzer huschten und flatterten umher, wahrscheinlich gab es da auch Junge. In der Luft zwitscherten Bergpieper, ähnlich wie Lerchen stiegen sie hoch, während sie sangen.

Technik in der Natur

Im Bedrettotal gibt es aber nicht nur Natur pur, wir wurden durch die Hochspannungsleitungen ständig daran erinnert, dass wir halt eben nicht in einer Wildnis unterwegs waren. Das ist der Preis der zivilisatorischen Annehmlichkeiten. Unser erstes Zwischenziel war der Lago delle Pigne, ein hübscher, kleiner Bergsee. Dass das ein schönes Plätzchen ist, wussten auch andere, standen dort doch bereits zwei Zelte. Die Felsen dort eignen sich gut zum Klettern, wir waren vor langer Zeit mal am Poncione di Cassina Baggio unterwegs. Während wir uns stärkten, schauten wir den Kletterern zu.

Einkehr bei der Pianseccohütte

Wir trennten uns nun auf, ein Teil machte sich auf zum Passo di Manio, Fabian (er hat Knieprobleme wegen des Wachstums, ihr kennt das) und ich begaben uns direkt zur Pianseccohütte. Der Weg war sehr schön, kurz vor der Hütte machten wir eine tolle Entdeckung: Ein Braunkehlchen, ein leider sehr selten gewordener Wiesenbrüter in der Schweiz! In der Hütte, die genau an der Waldgrenze liegt, stillten wir unseren Durst, bevor wir nach All’Acqua zu unserer Unterkunft abstiegen. Derweil hatten die anderen den Chüebodengletscher erreicht, oder besser das, was davon übrig geblieben ist. Die Zeichen sind untrüglich, die Klimaerwärmung schreitet unbarmherzig voran und lässt die Gletscher schwinden. Über den Gerenpass stiegen sie auf steilen Wegspuren ab zur Pianseccohütte und nach der Pause ebenfalls zu uns hinunter.

Wir lernten an diesem Tag: Die Bedrohungen der alpinen Ökosysteme sind vielfältig. Klimaerwärmung, Energiegewinnung, Tourismus und Bauten in der alpinen Zone bedrohen sie mannigfaltig.

An der Mündung in den Lago Maggiore

Der nächste Tag stand dann im Zeichen der Auen am Beispiel der Bolle di Magadino an der Mündung des Tessin in den Lago Maggiore. Philipp Schuppli gab uns eine Einführung über diesen Lebensraum, inklusive der Probleme. Mitten im Naturschutzgebiet der Bolle befand sich bis vor einigen Jahren ein Kieswerk, das inzwischen rückgebaut wurde. Das Gebiet wurde aufgewertet und ist als IBA, als Important Bird Area, ein Naturgebiet von internationaler Bedeutung. Es ist für die Zugvögel, je nach Richtung, die erste oder letzte Rastmöglichkeit vor oder nach den Alpen.

Ein Auengebiet wird regelmässig überschwemmt und wird laufend umgestaltet – wenn der Fluss die Möglichkeit dazu hat. Dies ist beim Ticino leider nicht gegeben, zu träge fliesst der Fluss, eingezwängt in ein Korsett aus Steinen und begradigt. Warum bei der Renaturierung nur halbe Sachen gemacht wurden, bleibt uns verschlossen. Nichtsdestotrotz wandelten wir mit offenen Augen und Ohren durch das Gebiet. Sofern wir nicht abgelenkt wurden von den Mücken. Unglaublich, so was hatte ich noch nie erlebt! Ich bin gegen Gift und hatte daher auf Mückenspray verzichtet. Ständig musste ich Mücken vertreiben oder erschlagen. Blieb ich mal stehen, stürzten sich gleich Dutzende dieser Blutsauger auf mich. Es war unerträglich!

Von Mücken gefressen

Wir versuchten trotzdem, uns auf die Natur, die andere, zu konzentrieren. Immer wieder hörten wir den Grünspecht, dem es hier zu gefallen schien. Einmal meinten wir sogar, den Pirol gehört zu haben. Am Wegrand entdeckten wir Hauhechel, Odermennig, Echtes Seifenkraut und viele andere Pflanzen. Am Ende des Weges befand sich ein Hide, von wo man einen Blick auf die Schlickfläche im See hatte – wenn sie denn vorhanden wäre, denn der Seespiegel war anscheinend so hoch, dass diese in den Fluten versank.

Hier wurde ich regelrecht von den Mücken gefressen, ich kehrte stante pede um. Zum Glück kam mir eine Kollegin mit Mückenspray entgegen. Trotz meiner Überzeugung nahm ich das Zeugs dankbar an und hatte ab sofort mehr oder weniger Ruhe. Wir kehrten zum Hide zurück, wo wir nun, von den Mücken verschont, beobachten konnten. Da fielen uns die Zwergtaucher, ein Teichhuhn und der schöne Eisvogel auf. Auf dem Rückweg konnten wir weitere rare Beobachtungen zur Liste hinzufügen: Schwarzkehlchen, Rohrammer und Turteltaube. Donnergrollen veranlasste uns, einen Zacken zuzulegen, mit den ersten Tropfen erreichten wir unser Fahrzeug.

Das Tessin hat ein Neophytenproblem

Und zwar ein massives. Es macht den Anschein, als hätte der Kanton bereits resigniert. Der dominierende Baum ist so ein invasiver Neophyt, die Robinie. Das Unterholz wird stellenweise vom Drüsigen Springkraut beherrscht, wo dieses wächst, haben einheimische Arten keine Chance mehr. Weitere Invasoren in der Bolle sind die Kanadische Goldrute, das Amerikanische Berufskraut und der Götterbaum. Ein ganzes Feld, bestes Gelände für ein Naturschutzgebiet, ist vom Berufskraut überwuchert. Es ist schade wenn nicht gar eine Schande, dass man so ein wertvolles Gebiet einfach überwuchern lässt. Vor zwei Jahren stellten wir an der Maggia dasselbe fest, auch dort waren die Ufer fest in der Hand der Schadpflanzen.

Im Urner Reussdelta

Das heftige Gewitter veranlasste uns, wieder in den Norden zu fahren. In Flüelen legten wir einen Halt ein, das Gewitter hatte inzwischen auch den Norden erreicht. Gerade die richtige Zeit für einen Kaffee. Nachdem der Sturm abgeflaut war, wagten wir uns aufs Urner Reussdelta. Dieses wurde im Rahmen des NEAT-Baus neu angelegt. Schöne Wege lenken die Besucher durch unterschiedliche Biotope. Ein Aussichtsturm ermöglicht einen guten Ausblick. Das Gebiet ist aber nicht ausschliesslich der Natur überlassen, es gibt auch Zonen, wo man baden darf. Zur Zugzeit ist das Gebiet bestimmt auch interessant. Nach diesem letzten Besuch war die diesjährig Expedition Fauna & Flora vorbei, mit vielen interessanten Eindrücken reisten wir heim. Vielen Dank an Philipp Schuppli und seine „Assistentin“ Kathrin Naegeli.

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