Wieder war ich auf Recherche. Wir meldeten uns für eine Exkursion durch die Rothenthurmer Moorlandschaft an. Der Titel war verheissungsvoll: „Sonnen-aufgang über der Moorlandschaft“. Nach diesem tollen Sommer war aber an-scheinend nicht mehr genügend Sonne übrig.

Morgendämmerung
Morgendämmerung

Start der Exkursion ist um 6 Uhr am Sonntagmorgen. Wir müssten also um ungefähr vier Uhr aufstehen! Das wollten wir uns dann doch nicht antun. So suchten wir eine Unterkunft und stiessen auf das Bnb Stolzboden (Stand 2023: Gibt es nicht mehr), das von Tina Bienz geführt wird. Das Haus ist ein bisschen versteckt. Wenn man glaubt, man sei falsch, ist es das nächste Haus. Tina begrüsst uns, sie ist sehr sympathisch und unkompliziert. Im Dachgeschoss ist eine kleine Stube und ein Schlafzimmer, also ideal auch für längere Aufenthalte.

Am nächsten Morgen müssen wir trotzdem kurz nach fünf Uhr aufstehen. Der Frühstückstisch ist schon reich gedeckt. Schade, haben wir nicht mehr Zeit. Kurz vor sechs Uhr erreichen wir den Treffpunkt, wo uns Silvia und Albert Marty begrüssen. Sie organisieren und leiten unter dem Namen moorevent.ch (Stand 2024: Gibt es nicht mehr) Exkursionen und Events und machen Vorträge über Rothenthurm und das berühmte Moor. Nach einer kurzen Einleitung starten wir in die Nacht hinaus, der Himmel ist bedeckt. Wir trotten einfach hinter dem Leiter her, denn sehen kann man um diese Zeit ohnehin nichts. Der Weg ist dreckig, ab und zu müssen wir Pfützen ausweichen. Am Horizont kann man immerhin die Dämmerung erahnen. Aber zu allem Überfluss beginnt es noch zu regnen und einem Bauern war beim Mist verzetteln der Wanderweg egal. Irgendwann erreichen wir wieder eine Strasse, die asphaltiert ist. „Jetzt sind wir im Kanton Zug“, bemerkt Albert. Denn nur die Zuger Strassen sind asphaltiert, die Grenze verläuft durch das Moor. Auch an den Feldern erkennt man, welche zum Kanton Zug und welche zum Kanton Schwyz gehören: Die Zuger Weiden sind ziemlich einheitlich, da sie nicht den Bauern gehören, sondern Allmenden sind, die den Korporationen gehören. Bei den Schwyzern hingegen gab es jeweils eine Realteilung bei der Erbschaft, das heisst, das Land wurde gleichmässig unter den männlichen Erben aufgeteilt, was zu einem regelrechten Flickenteppich führte.

Wir steigen hoch zum Schönenboden. Wahrscheinlich macht der bei schönem Wetter dem Namen alle Ehre, nur nicht heute. Immerhin dämmert es allmählich, jetzt wäre die Zeit, wo sich am Horizont die Sonne erhebt und den Bodennebel beleuchtet. Aber eben. Vor einer Hütte machen wir eine Pause und trinken warmen Tee, während Albert Anekdoten und Wissenswertes zum besten gibt. Die Kirche von Rothenthurm ist die grösste im Kanton Schwyz. Und das kam so: Die Rothenthurmer brauchten in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts eine neue, grössere Kirche (damals rechnete man mit einem Bevölkerungswachstum und entsprechend mehr Kirchenbesuchern) und beauftragte den neuen Pfarrer, das Geld zu organisieren. Er fragte unter anderem bei der Schwyzer Regierung nach, die aber nur bereit war zu zahlen, wenn das Projekt redimensioniert wurde. Der beleidigte Pfarrer organisierte anderweitig das Geld – und baute die Kirche dreissig Zentimeter länger als die Schwyzer Kirche! Eine weitere Besonderheit ist der riesige Kronleuchter, der einst von Napoleon III und seiner Mutter Hortensia dem Kloster Einsideln gestiftet wurde. Er hing von 1865 bis 1953 in der Klosterkirche, bis er als unpassend empfunden wurde. Er wurde wieder abmontiert und in Säcken auf dem Estrich der Kirche versorgt. Nach einer längeren Odysee über mehrere Stationen kam er schlussendlich wieder in die Kirche von Rothenthurm, wo er jetzt wieder seinen Zweck erfüllt.

Nach diesen und weiteren Geschichten steigen wir wieder ab, es regnet nun noch mehr. Da kommt uns das Steinstoss-Stübli gerade recht. Hier können wir uns wieder aufwärmen, während Albert wieder viel Interessantes über das Moor erzählt. Auf den normalen Wiesen finden wir ungefähr 20 Pflanzenarten, in den Riedwiesen dagegen um die 200! Im Hochmoor sind es nurmehr fünf, die allerdings hochspezialisiert sind. Nur sie gedeihen in dem sauren, nährstoffarmen Milieu. Zentral ist das Torfmoos, es bildet die Grundlage jedes Hochmoores. Ein Hochmoor wird ausschliesslich durch Regenwasser gespiesen. Entsprechend gering ist der Nährstoffgehalt. Das Torfmoos ist praktisch unsterblich. An der Spitze wächst es immer weiter, während es an der Basis allmählich abstirbt, wegen Sauerstoffmangel jedoch nicht vollständig verrottet. Dadurch wächst ein Hochmoor jährlich ungefähr einen Millimeter. Es dauert rund 10’000 Jahre, bis die Torfschicht die Mächtigkeit von 3.5 bis 4 Meter erreicht hat! Eine weitere Pflanze ist der Rundblättrige Sonnentau, eine fleischfressende Pflanze. Die Blätter sind mit klebrigen Tropfen versehen, die wie Tau aussehen. Setzt sich ein Insekt darauf, um sich daran zu laben, bleibt es kleben und wir allmählich verdaut. So kommt die Pflanze an zusätzliche wertvolle Nährstoffe. Das Wollgras hat sich ebenfalls diesen für Pflanzen unwirtlichen Lebensraum ausgesucht.

Die Moore in der Schweiz sind stark bedroht. Von den ursprünglichen Moorflächen sind über 90 % zerstört worden! So war auch jenes von Rothenthurm bedroht, dort sollte ein Waffenplatz entstehen. Es gab lange ein Hin und Her, mal sollte er gebaut werden mal nicht, bis zu Beginn der Achtziger Jahre der Bund die Bevölkerung vor Tatsachen stellte: Er wird gebaut. Diese Vorgehensweise kam bei einem Teil der Bevölkerung äusserst schlecht an. So wurde die „Rothenthurm-Initiative“ lanciert, in nur sechs Monaten kamen die nötigen 100’000 Unterschriften zusammen. Und es war bis dahin eines der wenigen Begehren, das vom Stimmvolk auch angenommen wurde. Seither stehen alle Moorflächen in der Schweiz unter strengem Schutz, nur bei der Durchsetzung hapert es.

Ab ins Moor

Allmählich lässt der Regen etwas nach, wir wagen uns wieder nach draussen. Wir wandern zurück Richtung Rothenthurm, auf der Grenze zwischen genutztem Land und dem Moor. Der Unterschied ist deutlich zu sehen: Auf der einen Seite einheitliches Grün, auf der anderen alle Herbstfarben. Die Bäume in der Ferne sind nur schemenhaft zu sehen. Die Erde hier ist schwarz, wie man an den Maushaufen erkennen kann. Es ist schwere, nicht sehr fruchtbare Erde. Wir kommen nun zum Hochmoor, man erkennt es an den Bulten und Schlenken. Bulten sind die Erhöhungen, Schlenken die Wassergräben darum herum. Hier zeigt uns Albert auch das Torfmoos. Es kann unglaublich viel Wasser speichern. Wenn man nur eine kleine Pflanze ausdrückt, rinnt das Wasser herab, als würde man einen Schwamm ausdrücken. Sitzt das Moos länger auf dem Trockenen, wird es weiss.

Am Wegrand zeigt uns Albert lange Grashalme, er zieht einen heraus. „Daraus haben früher die Frauen kleine Besen gemacht“, erklärt er uns. Und heute? Geht man schnell mit dem Auto in ein Einkaufszentrum, wenn möglich nicht mal in das nahegelegenste und kauft sich einen aus Plastik. Auf dem Feld steht so eine Torfhütte, wo früher das Werkzeug eingestellt wurde und auch als Aufenthaltsraum in den Pausen diente. Normalerweise ist sie nicht zugänglich, aber Albert hat hier Zugang, was wir jetzt gerade zu schätzen wissen, regnet es doch immer noch. Hier erzählt er uns ausführlich, wie der Torfabbau – oder „Turpnä“, wie man hier sagt –  funktioniert hat. Jedenfalls bekamen zu Beginn zwei Zürcher auch eine Lizenz zum „Turpnä“ – befristet auf ein Jahr und Frau und Kinder durften nicht mitgenommen werden. Man begegnete ihnen mit Misstrauen, zumal das ja PROTESTANTEN waren! Das war ähnlich schlimm wie heutzutage ein Moslem in SVP-Landen. Der Torf konnte natürlich nur während den Sommermonaten abgebaut werden. Im Winter staute man das Wasser der Biber an einer Stelle, so dass ein Teich entstand. Wenn dieser gefroren war, sägte man das Eis in Blöcke und verkaufte sie vor allem an Brauereien, die sie vor der Erfindung des Kühlschrankes zum Kühlen brauchten.

Moore haben noch eine weitere, enorm wichtige Funktion: Sie sind der grösste CO2-Speicher. Werden Moore trocken gelegt, setzt der Verwesungsprozess ein, welcher das gespeicherte CO2 an die Atmosphäre abgibt. Angesichts der Klimaerwärmung ist es daher eminent wichtig, dass die letzten Moore gerettet werden.

Da sich das Wetter nicht zu bessern scheint, setzen wir unseren Weg nach Rothenthurm zurück fort. Bei einer Vogelberingungsstation betreten wir Moorboden. Dieser schwingt tatsächlich. Wenn jemand hüpft, kann man die Erschütterungen deutlich wahrnehmen. Albert lässt unsere Jungs eine drei Meter lange Sonde in den Boden stechen. Wie durch Butter stossen sie diese bis fast zum Anschlag hinein.

Unterwegs zeigt uns Albert eine Torfstichkante. Hinten sieht man die (mehr oder weniger) ursprüngliche Höhe, vorne das Niveau nach dem Abbau. Augenfällig ist auch der Unterschied des Bewuchses. Vorne ist nur noch grüne Wiese, hinten vielfältige Natur.

Im Dorf endet die spannende und lehrreiche Führung, die uns trotz dem misslichen Wetter gefallen hat. Albert und Silvia bieten rund ums Jahr Führungen durchs Moor an, die Termine findet man auf ihrer Website.

Im Radio sprach der Wetterbericht von „örtlichen Schauern“. Angesichts der Tatsache, dass es bis nach Hause (ungefähr 60 Kilometer Luftlinie) ununterbrochen geregnet hat, müsste man wohl „örtlich“ neu definieren.

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