Die diesjährigen Osterskitouren des SAC Homberg führten uns in die Keschhütte. Vier Tage lang erkundeten wir das Gebiet, das ich bis dahin nicht kannte. Und wie nicht anders zu erwarten faszinierte mich das Gebiet, das zum Teil im Parc Ela liegt. Ich erlebte zauberhafte Momente, aber auch ein ganz und gar nicht zauberhaftes Ereignis.

Wie immer erhielten wir vorab vom Tourenleiter eine ausführliche Beschreibung, die keine Frage offen lässt. Ich habe zu Hause die Karte angeschaut: Von Bergün her ist ein Taxi organisiert, was den Weg verkürzt. Na, von Chants aus ist es ja nicht soweit, knapp fünf Kilometer und 800 Höhenmeter. Bis mich meine Frau diskret auf die Beschreibung aufmerksam macht, wo als Startpunkt Plan Tizolas auf 1474 Meter angegeben ist. Hm. Das sind dann 1200 Höhenmeter und elf Kilometer Distanz! Und zwei Drittel davon sind ziemlich flach, warm soll es auch werden. Das verspricht brennende Fusssohlen.

Ein langes Tal

Wir gehen in aller Herrgottsfrühe auf den Zug. Nach und nach treffen wir auch auf die anderen der Gruppe. Die ÖV-Verweigerer treffen wir in Bergün, wo das Taxi wartet, ein Schulbus. Mit Kinderbestuhlung. Zum Glück dauert die Fahrt nicht stundenlang. Ich habe nach dem Schuh-Debakel am Wochenende zuvor die alten Skischuhe mitgenommen. Bei noch schönem Wetter starten wir im Val Tuors. Wie befürchtet ist der Weg flach bis Chants, wo wir eine Rast einlegen, bevor der Weg dann endlich ansteigt. Am Himmel ziehen immer dichtere Wolken auf, irgendwann beginnt es auch zu schneien. Zum Glück ist es nicht mehr weit zur Hütte.

Piz Kesch, 3418 m

Am nächsten Morgen starten wir um acht Uhr, die Tour sollte der Höhepunkt werden: Piz Kesch. Die Gipfel sind noch von Nebel umhüllt, es bläst ein starker und kalter Wind. Aber um acht soll sich die Bewölkung auflösen und um neun der Wind abstellen, so jedenfalls hat es uns der Hüttenwart, Reto, prophezeit, er hat das Orakel befragt (also den Wetterbericht auf dem iPad studiert). Das Wetter hält sich aber nicht an die Vorhersage und hat wohl etwas Verspätung. Am Rande des Gletschers seilen wir uns an. Das ist mühsam, man ist wortwörtlich angebunden und kann sich nicht mehr frei bewegen. Aber nötig ist es halt wegen den Gletscherspalten. Schliesslich kommt die versprochene Aufhellung doch noch. Zuerst nur zaghaft reisst die Wolkendecke auf und gibt den Blick auf unser Ziel frei. Sehr imposant, diese Wand, wo wir hoch wollen.

Wir legen nochmals eine Rast ein, bevor wir das Skidepot erreichen. Dort werden die Skis mit den Steigeisen und die Stöcke mit dem Pickel getauscht. Am Berg sieht es aus wie am Mount Everest, überall Leute. Trotzdem sind wir voll motiviert, nur der Tourenleiter ist skeptisch: „Mal schauen, ob wir hier hochkommen.“ Wir steigen in den bewährten Seilschaften auf über ein steiles Schneefeld. Bald sind wir mitten in Fels und Schnee. Ein steiles Couloir, wir lösen unsere Seilverkürzung auf, um den Tourenleiter zu sichern am einzigen Bohrhaken. Er klettert hoch.

„Da war eine Person drin!“

Plötzlich donnert 50 Meter vor uns eine Lawine nieder! Wir fassen uns sofort wieder, bis jemand schreit: „Da war eine Person drin!“ Damit war die Tour gelaufen, wir kehren unverzüglich um. Durch das Erlebnis sind einige nun verunsichert, der Abstieg dauert, aber alle behalten einen kühlen Kopf, die Rettungsflugwacht ist alarmiert. Beim Skidepot atmen wir erst einmal durch. Ich verspüre keine Lust mehr auf eine Fortsetzung der Touren, behalte das aber mal für mich. Wir stärken uns erst mal und fahren dann ab zur Hütte. Dort sehe ich die Lage nun wieder etwas entspannter, auch für den Tourenleiter ist der Abbruch kein Thema, wir waren ja nicht direkt betroffen. Die Nachricht, dass die verunfallte Person überlebt hat, lässt uns auch wieder lockerer werden. Den Gipfel hatten wir nicht erreicht, aber das interessiert jetzt auch niemanden.

Unter Twitterer

Und dann war da noch jemand am Berg, von dem ich wusste, dass er auch hier ist, aber eigentlich nicht kannte. Auf Twitter folge ich @meQfisher alias Markus Fischer, nur war das Erkennen nicht einfach, da weder er noch ich Bilder von uns selber posten. Dafür erkannte er meine Frau, auch an ihrer Jacke, die sie immer und überall trägt. Irgendwie fanden wir uns doch und hatten eine nette, aber wegen dem anstehenden Nachtessen leider kurze Unterhaltung. Ich finde es spannend, wie man über diese sozialen Netzwerke zu ganz neuen Kontakten kommt.

Im Titel steht ja was von magischen Momenten. Bis jetzt waren diese aber nicht wirklich magisch. Nun aber, mit der Dämmerung, brechen sie an. Die Abendsonne taucht die Berge in sanftes Licht, der Beginn der blauen Stunde.

Noch besser hat das aber Markus festgehalten:

 


Wir geniessen das Schauspiel, bis es wirklich ganz dunkel ist. Nur um dann den Sternenhimmel zu bewundern, der nun aufgetaucht ist. So schön kann der Nachthimmel sein ohne Lichtverschmutzung, wie sie bei uns im Mittelland leider lückenlos vorhanden ist.

Piz Porchabella, 3079 m

Der nächste Morgen empfängt uns mit rosa Wolken. Ist das nun ein besseres Vorzeichen? Die heutige Tour soll einfacher sein als die gestrige, wir wollen auf den Piz Porchabella. Die meisten Leute steigen zuerst den Porchabella-Gletscher hoch und zweigen dann auf ca. 2800 Meter links ab. Der Hüttenwart empfiehlt uns aber, durch eines der Täler aufzusteigen, das sei schöner. Vor allem müssen wir nicht anseilen. Der Aufstieg ist tatsächlich schön und abwechslungsreich. Bald erreichen wir das grosse Eisloch, auf das uns der Hüttenwart hingewiesen hat. Wobei Loch ziemlich untertrieben ist, es ist eher ein Eiskrater. Wir umgehen ihn und erreichen die Fuorcla Viluoch.

Nun wird es deftig. Die Aufstiegsspur führt uns steil aufwärts durch felsdurchsetztes Gelände. Zwischendurch tragen wir die Skis. Nach diesem Steilstück folgt ein fast flacher Gratrücken. An dessen Ende deponieren wir die Skis und gehen zu Fuss weiter, zwei nehmen allerdings die Skis noch mit. Es ist wieder ziemlich steil, aber längst nicht mehr so wie am Vortag am Piz Kesch. Über den schmalen Schlussgrat erreichen wir den Gipfel.

Geschafft! Ein grandioses Panorama liegt vor uns. Der Ortler steht breit und massig im Süden, rundherum eher unbekannte, aber nicht weniger schöne Gipfel. Nachdem wir uns satt gesehen haben, kehren wir wieder zum Skidepot zurück. Die beiden, die die Skis hochgetragen haben, sind bereits wieder unten. Na ja, lohnend sah die Abfahrt nicht aus. Nach einer längeren Rast suchen wir nun eine einfachere Abfahrt. Vom Depot her sollte es direkt hinunter gehen. Nach längerem Suchen finden wir dann eine gute Variante, wo der Schnee immerhin teilweise gut ist.

Stille

Unterhalb des Gletschers legen wir mal einen Halt ein, der Kesch Pitschen steht zur Diskussion. Ich trage ja die alten Schuhe, damit macht das Fahren weniger Spass, da ich darin keinen rechten Halt habe. Ich beschliesse, alleine zur Hütte zurück zu kehren, die anderen besteigen den besagten Berg. Wir trennen uns, ich fahre Richtung Hütte ab. Nach einem schönen Pulverhang warte ich mal und horche. Ich höre – NICHTS! Absolut nichts. Die totale Stille! Da ist wieder so einer, ein magischer Moment.

Nichts, aber rein gar nichts dringt an mein Ohr. Kein Rauschen, kein Rascheln, kein Dröhnen, kein Grollen, einfach nichts. Wann erlebt man das noch in unserer hektischen Welt? Zu Hause ist das gar nicht mehr möglich. Ich erinnere mich zurück, als ich mit 17 Jahren auf der Fafleralp, zwei Täler weiter drüben, war und dort zum ersten Mal diese Stille erlebte. Ich war tief beeindruckt, so auch diesmal. Statt nun weiter abzufahren lege ich meinen Rucksack in die Steine und mache es mir gemütlich. Lausche. Schaue. Geniesse. Diese Einsamkeit, ganz alleine in der grossartigen Bergwelt. Unbezahlbar! Bis ein Flugzeug die Stille durchbricht… Ich geniesse wohl fast eine Stunde dieses Alleinsein, bevor ich endgültig zur Hütte zurückkehre.

Sertigpass, 2739 m

Der letzte Tag beginnt mit einer Abfahrt. Wir fahren bis ca. 2400 Meter, bevor wir die Felle aufkleben und aufsteigen Richtung Sertigpass mit der Idee, das Passhöreli noch zu besteigen. Die Sonne scheint, doch der Gipfel ist in Nebel gehüllt. Je höher wir steigen, desto windiger wird es. Und die Wolkenwalze um das Passhöreli will auch nicht verschwinden. Der namenlose Gipfel auf der anderen Seite des Sertigpasses hat Sonne. Der Tourenleiter ändert den Plan, wir besteigen diesen. Dort ist es sonnig, aber nicht weniger windig, die Gipfelpause fällt entsprechend kurz aus. Der Schnee in der Abfahrt ist vom Typ Carton de Blamage, also Bruchharst.

Hinab ins Sertigtal

Vom Pass her fahren wir auf der entgegengesetzten Exposition ab, wo der Schnee viel besser ist. Und es windet auch nicht mehr so fest hier, so dass wir endlich eine richtige Rast einlegen wollen. Aber kaum aus den Skiern gesprungen, kommt eine Wolke und verhüllt die Sonne. Nichts mehr mit gemütlich rasten, so dass wir halt weiter fahren. Dann ein Blick zurück: Das Passhöreli strahlt im schönsten Sonnenschein. Tja, so ist das Bergsteigerleben. Auf der Karte sieht der Weg durchs Chüealptal, in dem wir jetzt sind, mühsam aus: Langgezogen und flach. Aber zum Glück geht es stetig abwärts, so dass wir bald im Sand sind, dem hintersten Weiler des Sertigtales. Ein wunderschönes Tal, das wohl zu jeder Jahreszeit einen Besuch wert ist. Wieder liegt eine gewisse Magie in der Luft. Es ist zwölf Uhr, wir haben immer noch nichts gegessen, der Magen knurrt, wir werden wieder in die Realität zurückgeholt. Da vorne ist ein Restaurant. Wer will jetzt schon noch von seinen mitgebrachten Sachen essen? Jetzt gibt es Rösti!

 Infos

Die Keschhütte

Die Keschhütte ist sowohl im Sommer wie im Winter Ausgangspunkt für verschiedene Wanderungen, Hochtouren, Biketouren und Skitouren. Sie wurde im Jahr 2000 neu gebaut nach modernsten technischen und ökologischen Erkenntnissen. Bewartet wird sie von Ursina und Reto Barblan. Bei ihnen ist man bestens aufgehoben, wir haben drei Tage ausgezeichnet gegessen. Zu beachten: Die Hütte liegt auf 2630 Meter über Meer, empfindliche Personen könnten da Mühe haben.

Weitere Tourenziele

In der Reichweite der Hütte liegen weitere Gipfel:

  • Kesch Pitschen
  • Piz Forun
  • Piz Pischa
  • und Piz Murtelet

Die Hütte liegt an der Bündner Hauteroute, die am Julierpass startet. Sie führt von der Jenatschhütte zur D’Es-cha-Hütte weiter zur Keschhütte und der Grialetschhütte.

Noch mehr Bilder gibt es auf Flickr.

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