Vom ersten Moment an, bei der Durchquerung auf der Transjurane, bin ich dem Zauber des Vallée de Joux im tiefsten Waadtländer Jura erlegen. Die Gegend hat etwas Mystisches, erst recht, wenn man durch das grösste zusammenhängende Waldgebiet des Juras wandert, den Grand Risoux. Drei Tage durften wir diesmal in Le Sentier am oberen Ende des Lac de Joux verbringen.

An der Orbe
An der Orbe

Dem Zauber des Vallée de Joux erlegen

Die Anreise mit dem Zug ins Vallée de Joux ist lang, aber schön. Wir fahren dem Jura-Südfuss entlang, vorbei am Bieler- und Neuenburgersee. Von Cossoney her, gefühlt mitten in der Pampa, steigen wir in den Zug um, der sich nach Le Day, dem letzten Umsteigebahnhof, hochschlängelt durch rurale Landschaften. Von Le Day steigt die Bahnlinie nochmals steil hoch auf 1000 Meter. Am anderen Ende des Lac de Joux, in Le Sentier, entsteigen wir dem Zug und suchen unsere Unterkunft. Wir laden die nicht benötigten Sachen dort ab und begeben uns gleich zum See, der Orbe entlang.

Zum Lac de Joux

Im Dorf ist die Orbe in einen Kanal gezwängt, erst zum See hin darf sie sich entfalten. Ein Steg führt durch das morastige Gebiet, eine gute Besucherlenkung, die Hemmschwelle ist grösser, den Weg zu verlassen. Da höre ich einen Vogel rufen: „Fitis!“ „Wie kommst du darauf?“, fragt die Frau. „Haben wir doch erst am letzten Wochenende auf der Exkursion gehört“, entgegne ich. Als Beweis spiele ich ihr den Ruf in der Svensson-App ab. Bingo. Wir werden den Fitis künftig überall noch hören. Was bei uns der Zilpzalp ist, scheint dort der Fitis zu sein, ein häufiger Waldvogel.

Auf der Orbe tummeln sich Blässhühner, Stockenten, Haubentaucher und Zwergtaucher, im Schilf brütet ein Schwan. Wir folgen weiter dem Steg, der durch die Sumpflandschaft führt. Auf der Karte haben wir einen Hide gesehen, der sich dann aber als kleines, privates Häuschen herausstellt. Wir kehren wieder um, entdecken im Riet einen Neuntöter. Auf der anderen Seite der Orbe bummeln wir Richtung See, zum „Tête du Lac“. Dort gibt es dann tatsächlich eine Aussichtsplattform, wir blicken über den ganzen See nach Le Pont, dahinter ragt die Dent de Vaulion auf, die wir auf der Waadtländer Jura-Höhenwegwanderung bestiegen haben. Auf dem Gewässer tut sich auch einiges, Blässhühner jagen einander, es ist Balz- und Brutzeit, da sind sie besonders aggressiv. Wir spazieren weiter zu La Golisse. Dort stellt sich die Frage: Zurückwandern oder den Zug nehmen? Da gleich einer kommt, ersparen wir uns die Kilometer auf dem Asphalt.

Abendspaziergang

Am Abend gehen wir nochmals raus in die andere Richtung, wo die Orbe herkommt. Sie mäandert hier durch die Ebene, bevor sie ins Korsett gezwängt wird. Wir erhoffen uns ein paar interessante Beobachtungen, aber den bald aufkommenden Regen spüren offenbar auch die Tiere. Ein paar Mauersegler, Mehlschwalben und Wacholderdrosseln begegnen uns, am fernen Hang entdecken wir über ein Dutzend Gämsen. Da es keinen Rundweg gibt, ohne auf der vielbefahrenen Strasse zu gehen, kehren wir wieder um.

Durch den Märchenwald

Wir starten noch vor sieben Uhr zur Wanderung durch den Grand Risoux, es nieselt noch. Gleich hinter dem Dorf geht es steil hoch, ein Gartenrotschwanz erfreut uns im Aufstieg. Ehe wir den Wald erreichen, queren wir eine Senke. Der Himmel verdüstert sich nochmals, die Dent de Vaulion ist in Wolken gehüllt. Wir erreichen den sagenumwobenen Grand Risoux. Dort sollen die besten Tannen zur Herstellung von Musikinstrumenten wachsen. Und es soll viele heimliche Bewohner geben, von denen wir hoffen, einige zu entdecken.

Wir schleichen auf dem Weg, flüstern höchstens, um ja nicht auf uns aufmerksam zu machen und um der andächtigen Stimmung gerecht zu werden. Bei jedem Geräusch bleiben wir stehen und schauen gespannt. Bewaffnet mit Ferngläser und den grossen Teleobjektiven entgeht uns nichts. Oder doch? Wie viele Tiere beobachten uns, ohne dass wir sie wahrnehmen?

Von Turque und Marocaine

Die Steine, die Bäume, alles ist moosbewachsen. Man wäre nicht überrascht, wenn hinter einem Stein eine Elfe hervorgucken würde. Dieser Wald, zusammen mit dieser Einsamkeit und Ruhe, ist einfach märchenhaft. Wir wähnen uns weit weg in einer anderen Welt. Schmale Pfade leiten uns auf und ab, biegen mal links, mal rechts ab. Und dann fängt es wieder an zu nieseln. Beim Refuge de la Turque stehen wir unter und essen. Währenddem beobachten wir weiter die Vögel. Rotkehlchen, Mönchsgrasmücke und Zilpzalpe singen aus Leibeskräften, ein Sperber sorgt kurz für Aufruhr.

Schnell nach Frankreich

Gestärkt wandern wir weiter, vorbei an der nächsten Schutzhütte, dem Refuge de la Marocaine. Etwas weiter hören wir einen bis dato unbekannten Vogel. Silvan schiesst ihn ab, natürlich mit der Kamera. Der Vogel entpuppt sich als eine Ringdrossel, eine Art, die in höheren, raueren Regionen vorkommt. Wir erreichen die Grenze zu Frankreich, eine endlos scheinende Bruchsteinmauer markiert diese. Ein kleiner Durchschlupf veranlasst uns, schnell etwas französische Luft zu schnuppern. Bei La Jaique, einer Alphütte, blicken wir in den französischen Jura. Wald soweit das Auge reicht. Auf der Alpweide tummeln sich Ringdrosseln, Vieh hat es noch keines.

Dies- und jenseits der Grenze

Wieder zurück in der Schweiz, folgen wir der Mauer ein gutes Stück. Wir halten immer wieder, die Frau hört einen Vogel, Silvan fotografiert Haubenmeisen, die in einer Baumhöhle Junge aufziehen. Der Wald ist immer noch wild, wir halten Ausschau nach Auerhühnern, natürlich vergebens. Beim Refuge Rendez-vous des Sages, Treffen der Weisen, machen wir Pause. Eine Tafel erzählt die Geschichte zu diesem Refuge und dessen Namen. Im zweiten Weltkrieg wurden hier Menschen, vor allem Juden, über die Grenze geschmuggelt, in diesem Refuge war die erste sichere Unterkunft. Im Januar 1871, während des deutsch-französischen Krieges, war der Grand Risoux Ziel der Bourbaki-Armee, die sich hier und vor allem im benachbarten Val de Travers über die Grenze und in die Internierung rettete.

Der Zauber ist vorbei

Mit steigender Sonne verliert sich der Zauber des Grand Risoux, aber schön ist es natürlich immer noch. Wir steigen abwärts, vorbei an weiteren Refuges, zur Alp La Thomassette. Unterwegs fällt uns ein Gesang auf, den wir als jenen des Baumpiepers identifizieren. Von La Thomassette her ist es alles andere als idyllisch, der Wanderweg verläuft auf Asphalt. Dafür entdeckt Silvan Bluthänflinge, ein weiteres ornithologisches Highlight auf unserer Wanderung.

Wir entscheiden uns, nach Le Brassus zu wandern und von dort den Zug zurück nach Le Sentier zu nehmen. Leider reicht die Zeit nicht mehr, ein Restaurant aufzusuchen, so dass wir halt den Rauchschwalben zuschauen, die in der Bahnhofshalle ein- und ausfliegen.

Start: Le Sentier
Ziel: Le Brassus
Strecke: Le Sentier – Chez les Golay – Refuge de la Turque – La Jaique – Refuge Rendez-vous des Sages – La Thomassette – Le Brassus
Distanz: 19 Kilometer
Höhenmeter: 440 Meter
Wanderzeit: 5 Stunden
Schwierigkeit: T1
GPS-Track: Durch den Grand Risoux
Höhepunkte: Stille, der Wald, die Vögel
Alternative: Es gibt immer wieder Abkürzungen

Nochmals zum Tête du Lac

Am letzten Tag starten wir nochmals früh, um halb sieben. Wir wandern wieder der Orbe entlang, Schwalben flitzen bereits über dem Fluss und jagen Insekten. Im Wäldchen mit dem Steg hören wir wieder den Fitis, aber am Himmel, zwischen den Bäumen hindurch, erspähen wir einen grossen Vogel. Zuerst denke ich an eine Mittelmeermöwe, als ich den Vogel aber besser sehe, stelle ich hocherfreut fest, dass da ein Schwarzstorch über unsere Köpfe hinwegfliegt! Mittelmeermöwe ist aber nicht falsch, denn diese vertreiben den Storch, krächzen hinterher. Bei der Brücke entdecken wir in einer Birke eine Bergstelze, auf dem weiteren Weg begegnen uns Girlitz, Buchfinken, Tannenmeisen und Gimpel mit den schönen roten Bäuchen, Mönchsgrasmücken scheinen überall zu singen.

Ein dickes Frühstück

Von der Aussichtsplattform schauen wir einem Haubentaucher zu, der gerade einen Fisch erwischt hat, einen ziemlichen fetten Brocken. Der Taucher schluckt und würgt, bis der Fisch endlich im Magen ist. Drei junge Höckerschwäne kommen angeflogen und wassern. Das passt einem Altvogel gar nicht und stürzt sich auf sie, diese fliehen gleich wieder. Silvan quält seine Kamera, macht hunderte von Bildern. Irgendwann haben wir aber genug gesehen hier und kehren um.

Auf dem Rückweg durch den Wald macht uns die Frau auf einen Baum aufmerksam. Da sind so komische, flauschige Früchte drauf. Halt, nein, das sind Waldohreulenküken! Drei dieser sogenannten Ästlinge sitzen da und behalten uns im Auge. Bald wird es ihnen zu blöd, einer nach dem anderen fliegt davon.

Eine letzte Idylle

Ins Dorf zurück nehmen wir einen anderen Weg, er führt durch einen weiteren Wald. Wie schade, wenn wir den nicht entdeckt hätten! Ein idyllischer Weg führt mitten hindurch, vorbei an einem Teich. Aber schon bald spuckt uns der Wald wieder aus ins Dorf. Wir kehren zurück zur Wohnung, essen etwas und dann heisst es wieder: Ab nach Hause. Aber eines ist klar: Wir kommen wieder. Denn wir sind nach wie vor dem Zauber des Vallée de Joux erlegen. Mehr denn je.

Info

Das Vallée de Joux ist ein Hochtal auf 1000 Meter im Waadtländer Jura. Im Tal liegt der Lac de Joux, nordwestlich davon befindet sich der Grand Risoux, das grösste zusammenhängende Waldgebiet im Jura, südöstlich der Mont Tendre, die höchste Erhebung im Schweizer Jura. Zahlreiche weltberühmte Uhrenmarken haben hier im Tal ihren Sitz wie Blancpain, Audemars Piguet oder Breguet.

Anreise: Mit dem Zug über Yverdon oder Lausanne, Umsteigen in Cossonay-Ville – Penthalaz und in Le Day
Links: www.myvalleedejoux.ch
www.parks.swiss
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