Was macht man eigentlich so in Realp? Bis jetzt habe ich dort höchstens angehalten, um auf den Zug zu warten, kurz einzukehren oder um in eine SAC-Hütte zu gelangen. Dass Realp noch ganz anderes bereit hält, haben wir diesen Sommer herausgefunden. Wir machten uns auf die Suche nach einer Seltenheit.

Realp

Der rote Vogel

Realp steht als Ferienort nicht gerade zuoberst auf der Liste. Was hat uns also hier hin gezogen? Es sind die Vögel. Das Buch „Vögel beobachten in der Schweiz“ listet das Urserental als einer der Hotspots auf. Das Besondere daran: Hier kommt der Karmingimpel vor. In den letzten Jahren wurde er ausschliesslich hier regelmässig nachgewiesen. Auch dieses Jahr gab es bereits Meldungen. Er ist nur von Ende Mai bis Ende Juli hier, dann zieht er wieder in sein Winterquartier in Indien.

So starten wir nach unserer Bahnreise gleich nach dem Mittag zu einer Runde nach Zumdorf und zurück. Wir überqueren die noch junge Reuss und erblicken gleich mal einen Bluthänfling. Ein idyllisches Häuschen, halb in einem Wäldchen gelegen, weckt unser Interesse. Das wäre ein ganz schöner Ort für Ferien. Es ist aber schon besetzt, der Besitzer kommt auf uns zu. Unsere Ausrüstung mit Kameras und Ferngläsern hat seine Aufmerksamkeit erregt. Ob wir die weissen „Raubvögel“ auch gesehen hätten. „Leider nein, das waren vier Schlangenadler, die eine Zeit lang hier waren. Nun sind sie aber weitergezogen“, antworte ich. Viele Leute kämen da wegen so einem roten Vogel. „Ja, genau deshalb sind wir auch hier. Wir suchen den Karmingimpel.“ „Ah, ja so, dann wünsche ich euch viel Erfolg bei der Suche.“ Danke!

Überall Gartengrasmücken

Wir gehen weiter auf der Sommerlanglaufpiste (ja, das gibt es), da entdecken wir ein Braunkehlchen. Diese sperlingsgrossen Vögel sind im Mittelland als Brutvogel ausgestorben und nur noch auf dem Zug zu beobachten. Umso erfreuter sind wir, hier ein Exemplar zu entdecken. Der Wanderweg zweigt rechts ab und steigt an. Schon kommen wir nicht mehr vorwärts, weil Silvan laufend Schmetterlinge entdeckt. Das macht nichts, ich sehe dafür einen Alpenbirkenzeisig. Die Kuhweide, die wir durchqueren müssen, ist dann wieder eine Herausforderung für die Frau, aber wir lassen die Kühe zurück nach dem Drehkreuz. Fast aus jedem Busch ertönt eine Gartengrasmücke. Sie sitzt nicht wie andere Vogelarten zuoberst auf einem Ast, wo man sie möglichst gut sieht, sondern versteckt im Busch, so dass man sie kaum je zu Gesicht kriegt. Bei der Gartengrasmückenfrauen zählen offensichtlich die klanglichen Werte mehr als die optischen.

Silvan findet immer noch mehr Schmetterlinge, ist ganz begeistert. „Da muss ich morgen früh wieder hin!“, gibt er gleich das Programm bekannt. Zuerst steigen wir aber Richtung Zumdorf ab. Auf dem Weg dahin entdecken wir ein Pärchen Neuntöter und Baumpieper, die immer noch ihre Singflüge aufführen.

Wir gehen der Reuss entlang zurück. Eine Wasseramsel hat ihr Nest an einem Bächlein gebaut, sie wartet, bis wir vorbei sind, um den Jungen Futter zu bringen. Etwas weiter läuft ein Flussuferläufer am Ufer des Flusses. Der Weg führt nun weg von der Reuss, Wiesen entlang. Das Gras steht hoch, die Wiesenkerbel auch, ein beliebter Aufenthaltsort von Braunkehlchen. Prompt sehen wir sie hier herumturnen, aber längst nicht alle, überall piept es in der Wiese. Etwas weiter, in kürzerem Gras und mit Steinen durchsetzt, hüpfen Steinschmätzer umher und füttern Junge. Der erste Tag war also schon mal erfolgreich, auch wenn wir den Karmingimpel noch nicht gefunden haben.

Finden wir ihn heute?

Neuer Tag, neue Hoffnung. Nach dem Frühstück geht Silvan schon mal voraus zu seiner Schmetterlingswiese, die Frau und ich kommen etwas später nach. Auch wir machen uns dort auf die Suche nach Schmetterlingen. Nachdem Silvan viele neue (für ihn) Arten gefunden hat, steigen wir ab zur Reuss, immer noch auf der Suche nach dem Karmingimpel. Wir gehen talabwärts, überqueren eine Brücke, gehen wieder hoch, aber kein Karmingimpel weit und breit. So kehren wir zur Pension zurück und essen erst mal was. Auf ornitho.ch haben wir gesehen, dass am anderen Ende des Dorfes einer gemeldet wurde. Also brechen wir wieder auf und suchen die Bäume ab, horchen. Nichts. Wir gehen bis zur Brücke über die Reuss, kehren dort wieder um.

Auf der Suche nach einer Seltenheit

Bei einer Brücke zu einem Kraftwerk sage ich zu Silvan: „Komm, wir gehen da noch rüber und schauen dort auf der Wiese, ob wir ihn entdecken. Wenn nicht, lassen wir es sein für heute.“ Als wir auf der Wiese stehen, hören wir plötzlich den Gesang des Karmingimpels! Wir gehen noch etwas weiter auf der Wiese (sie ist frisch gemäht), schauen mit den Ferngläsern angestrengt. Auf einmal ruft Silvan: „Dort! Dort sitzt er auf einem Ast!“ Dann versucht er zu erklären, wo ‚dort‘ genau ist. Nach einer Weile finden die Frau und ich ihn auch. Da schlägt das Birderherz gleich höher! Ich hole die Kamera hervor und Pirsche mich näher ran. Ich erwische ihn recht gut, aber er ist halt doch immer noch weit weg, zudem ist ziemlich wenig Licht vorhanden. Unter diesen Umständen bin ich zufrieden mit den Bildern. Glücklich kehren wir zur Pension zurück.

Der Karmingimpel!

Früh raus

An diesem dritten Tag gehen wir alle früh raus, noch vor dem Frühstück. Silvan geht wieder zu seiner Schmetterlingswiese, ich zu den Braunkehlchen und die Frau sucht die nähere Umgebung ab. Die Sonne geht auf, als ich schon unterwegs bin. Die Steinschmätzer sind ebenfalls schon munter, ein junger sitzt in meiner Nähe auf einem Stein.

Bei der Braunkehlchenwiese muss ich nicht lange suchen, ich entdecke überall welche. Diese Dichte! Im Mittelland können wir davon nur träumen. Ein Männchen sitzt auf einem Strauch und singt, daneben ein kleines Braunkehlchen. Ich fotografiere sie. Erst am Bildschirm entdecke ich auch noch die zwei Bluthänflinge, die ebenfalls im Busch sassen.

Aber ich scheine sie vertrieben zu haben, sie sind in die Wiese geflüchtet, direkt am Wegrand. Ich schleiche ihnen nach, setze mich auf den Weg und kann sie wunderbar fotografieren.

Nach dem Frühstück steigen die Frau und ich den Bannwald hoch bis zur Waldgrenze, ohne nennenswerte Entdeckungen. Nach dem Abstieg treffen wir Silvan im Restaurant des Golfplatzes. Dort bedient man übrigens auch so komische Gestalten wie uns, es ist keineswegs versnobt, so wie man es sonst von Golfrestaurants kennt.

Zauberhaftes Urserental

Den letzten Tag in Realp habe ich mir so vorgestellt, dass wir ausschlafen, frühstücken und dann auf den Zug gehen. Der Rest der Familie hat aber anderes im Sinn, sie wollen früh raus. Zum Glück habe ich mich überreden lassen. Wir steigen vor Sonnenaufgang Richtung Bannwald hoch. Während dem kommt die Sonne hervor und taucht das ganze Tal in ein zauberhaftes Licht. Fantastisch! Nun können wir getrost weiterfahren in die Val Müstair, unserer nächsten Station.

Info

Das Buch „Vögel beobachten in der Schweiz“ gibt detailliert Auskunft, mit welchen Vogelarten zu rechnen ist. Anspruchsvoll sind die Wanderungen nicht, gutes Schuhwerk wird trotzdem empfohlen.

Um einen ungefähren Hinweis zu geben, wo man die Augen besonders offen halten soll, habe ich hier einige Punkte eingezeichnet:

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