Die Val Sinestra war 2011 „Landschaft des Jahres“, eine Auszeichnung, gestiftet von der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz. Keine Frage, das mussten wir uns ansehen. Vielleicht ist der Herbst nicht die beste Zeit dazu, denn es gäbe Frauenschuhe und andere Blumen zu bestaunen. So konnten wir uns aber auf den Singletrailspass in der Val Sinestra konzentrieren. Wir wurden nicht enttäuscht.

Unterwegs nach Sent
Unterwegs nach Sent

Der Himmel über dem Unterengadin ist stahlblau, kein Wölkchen zeigt sich am Himmel. Also los, ab auf die Bikes! Von Scuol nach Sent nehmen wir eine ähnliche Route auf der Wanderung am Sonntag, nur eine Etage höher. Die Aussicht ist grandig, die Wiesen sind herbstlich-braungelb, gesprenkelt mit rosa Punkten, es sind Herbstzeitlosen. Vom höchsten Punkt der Wanderung vom letzten Sonntag haben wir nun eine kurze, rasante Abfahrt nach Sent. Wir durchqueren das malerische Dorf, füllen noch schnell die Trinkflaschen an einem der zahlreichen Brunnen und fahren weiter in die Val Sinestra. Bald schluckt uns der Fichtenwald, auf einer Forststrasse fahren wir in angenehmer Steigung hoch. Rechts unter uns liegt das altehrwürdige Hotel, das gleich heisst wie das Tal. Zwischendurch fahren wir über eine offene Fläche, die uns den Blick auf den mächtigen Muttler freigibt.

Spass und Pech liegen nahe beieinander

Wir kommen an einen Wegweiser, einer der Pfeile zeigt nach rechts unten zum Hof Zuort, wo wir hin wollen. „Singletrail, Singletrail!“ ruft Fabian begeistert. „OK, fahren wir!“ antworte ich, schon düst er los. Zuerst ist der Weg noch schön flowig, wird aber bald ruppig und ist gespickt mit Wurzeln und Felsen. Die Kinder haben einen Heidenspass, uns Eltern gefällt es ebenfalls, fahren aber etwas defensiver. Ich bin froh um mein Trailbike, es macht viel mehr Spass als mit dem alten Racebike, das nun Silvan fährt, der froh darum ist, weil es viel mehr Spass macht als mit seinem alten Bike. Eine klassische Win-Win-Situation (aber, zugegeben, auch eine teure).

Vor der Brücke am tiefsten Punkt liegen Bretter, die mit Drahtgeflecht überzogen sind. Prima, einfach zu fahren. Nach der Brücke geht es aufwärts zum Hof Zuort, als die Frau von hinten ruft: „Ich habe einen Platten!“ Toll, der Maschendraht hat den Pneu aufgeschlitzt. Ich setze einen neuen Schlauch ein und klebe einen Flicken auf das Loch im Pneu. Ich hoffe, das reicht für diese Tour.

Welche Route sollen wir nehmen?

Wir erreichen das Bergrestaurant „Hof Zuort“, eine ehemalige Zollstation und jetzt ein Berghaus, und lassen uns das Rivella und die Engadiner Nusstorte munden. Nach dieser Stärkung machen wir uns an die Abfahrt. Fabian hat auf einer App einen Singletrail gesehen, den er unbedingt fahren will. Ich bin noch skeptisch, führt doch die offizielle Route auf der Strasse weiter.

Bei der Abzweigung wartet schon ein Biker, ich komme mit ihm ins Gespräch. Er ist diesen Abschnitt schon mal gewandert und es ist ihm zu heikel, obwohl die Route im „Ride“ vorgestellt wurde. Auch ein Wandererpaar erklärt uns, dass der Weg ziemlich schroff sei. Das verstärkt meine Skepsis. Währenddem merke ich, dass mein Bike wippt, als hätte ich den Dämpfer offen, dabei habe ich ihn extra noch geschlossen. Da rufen die Jungs schon: „Papa, du hast einen Platten!“ Oh, nein, schon wieder! Ich repariere den Plattfuss, derweil erkunden die Buben die Strecke zu Fuss. Als ich fertig bin, kommen sie auch zurück und berichten, dass die Strecke fahrbar sein sollte. 

Singletrailspass in der Val Sinestra

Ich lasse mich überzeugen, wir fahren den Weg trotz den Mahnungen. Mal schauen, ob das wirklich ein Singletrailspass in der Val Sinestra wird. Er ist ziemlich verblockt, aber gut fahrbar. Ich muss nur an wenigen Stellen absteigen, es macht sogar Spass. Es ist ein Auf und Ab, aber fast immer fahrbar. Wir überqueren zwei Hängebrücken, dann geht der Weg wieder aufwärts und wieder abwärts. Bei einer Kreuzung treffen wir auf den anderen Biker. Er fragt uns, wie es war. Natürlich cool!

Wir fahren ab zum Fluss, dann wieder ein Stück hoch. „Jetzt wird es flowig“, meint Fabian. Tatsächlich fahren wir über eine Wiese, dann ist aber fertig mit lustig, wieder geht es auf und ab, aufwärts meist mit schieben oder tragen. Von wegen flowig! Dafür werden unsere Fahrkünste trainiert. Und einmal mehr bin ich extrem froh um meine verstellbare Sattelstütze. Während die anderen immer wieder absteigen, um die Stütze zu verstellen, drücke ich einfach den Hebel während der Fahrt. 

Runter an den Inn

Das Ende des Trails naht, ich will nach einer Steilstufe absteigen, um Fotos zu machen – und trete ins Leere. Ich falle über das Bord in die Botanik. Glück gehabt, weich gelandet. Wären da nur nicht die Brennnesseln, die ihrem Namen alle Ehre machen. Dafür habe ich jetzt den idealen Fotospot. Die anderen meistern die Stelle problemlos. Wir müssen die Bikes nun noch eine Treppe hoch hieven, bevor wir auf der Strasse nach Ramosch abfahren. Es ist kein besonders schönes Dorf, hat aber eine eindrückliche Geschichte. Es ist insgesamt viermal abgebrannt, allein zwischen 1860 und 1884 dreimal. Da Fachleute für den Wiederaufbau fehlten, wurden italienische Baumeister engagiert, was dem Dorf den architektonischen Stempel aufdrückte.

Wir fahren ab zum Inn, machen nochmals Pause, bevor wir auf der anderen Seite wieder hoch fahren nach Scuol. Erinnerungen an unsere Innroute werden wach. Immer wieder gibt es ein „ah, da kamen wir auch vorbei“, „hier machten wir eine Pause“. Beim Jüngsten scheint noch genug Power in den Beinen vorhanden zu sein, Silvan legt sich auf dem Rückweg noch mit mir an, wir sprinten eine kurze Steigung hoch – und er gewinnt! Ist das also auch schon soweit.

Die Frau macht eine neue Erfahrung: Sie ist nun oft diejenige, auf die gewartet werden muss. Wir kommen an die Lischana-Quelle, wo Silvan seinerzeit seine Flasche abfüllte, weil das Wasser so gut sei. Er trug es noch lange mit sich, bis die Flasche leer war. Jetzt sind wir aber zu spät, denn die Quelle läuft nur zu bestimmten Zeiten. Wir fahren hoch nach Scuol, die Frau direkt zum Velomech, um den angeschlagenen Reifen und den Schlauch zu wechseln. Morgen regnet es ja, da kann sie das Bike dort lassen.

Info

Die Tour kann in verschiedenen Schwierigkeitsgraden unternommen werden. Einfach, wenn man alles den Strassen folgt, oder schwer, wenn man, wie wir, voll auf Singletrails aus ist. Schön und lohnend ist die Runde so oder so.

Start und Ziel: Scuol
Strecke: Scuol – Sent – Val Sinestra – Zuort – Ramosch – Punt la Resgia – Sur En – Scuol
Distanz: 40 Kilometer
Höhenmeter: 1270 Meter
Dauer: 4 Stunden
Kondition: schwer
Technik: schwer
GPS-Track: Singletrailrunde in die Val Sinestra
Höhepunkte: Sent, Singletrails in der Val Sinestra, Rast in Hof Zuort
Alternative: Der Strasse entlang statt den Singletrails macht die Tour viel einfacher, aber auch länger.

One thought

  1. Supertolle Runde im Val Sinestra. Landschaftlich wunderschön. Sehr gute und genaue Beschreibung. Der Trail nach dem Hotel Sinestra ist der Wahnsinn!

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.