Gut, „Familienausflug auf den höchsten Berg der Ostalpen“ ist etwas irreführend, denn es waren mehr als nur unsere Familie beteiligt. Denn wir waren zu Dritt auf einer Tour des SAC Homberg, dabei waren natürlich noch der Tourenleiter und ein weiterer Gast, beides alte Freunde. Ach ja, wir waren im Berninagebiet unterwegs und genossen drei grossartige Tage in der Gletscherwelt.

Im ewigen Eis

Zur Capanna Marco e Rosa

Der Start in den Tag ist früh, wir werden kurz nach fünf Uhr abgeholt. Wir haben allerdings auch noch eine lange Reise vor uns, das Ziel ist die Talstation der Diavolezzabahn. Diese transportiert uns hoch auf knapp 3000 Meter. Zuerst inhalieren wir mal das umwerfende Panorama mit dem mächtigen Piz Palü und dem höchsten von allen, dem Piz Bernina, jedenfalls in den Ostalpen ist er mit seinen 4048 Metern der höchste. Danach starten wir zum Hüttenaufstieg. Was gemütlich tönt, ist hier alles andere als einfach und eine komplette Tagestour mit Gletscher und Klettern, denn ohne Gletscherquerung kommt man nicht in die Marco e Rosa-Hütte auf der italienischen Seite. Wir steigen die Moräne ab, auch der Persgletscher wird nicht von der Klimakrise verschont und schmilzt vor sich hin. Die Frau und Fabian bilden eine Seilschaft, ich eine mit Role und Beni. Wir kennen uns schon über dreissig Jahre und verstehen uns bestens, wenn’s sein muss auch ohne grosse Worte. Da der Gletscher aper ist, geht die Querung ziemlich gut. Wir erreichen die Fortezza, steigen dort durch Schutt hoch auf den Grat.

Gratkletterei mit Aussicht

Nun heisst es klettern über den Grat. Es hat immer wieder steile Aufschwünge, schwierig ist die Kletterei aber nie. Zum Glück sind nicht viele Leute unterwegs hier, so dass wir recht schnell vorankommen. Am Ende des Grates geht es im Schnee und Eis weiter. Wir beginnen die Höhe zu spüren, vor allem die Frau. Nur langsam kommen wir voran. Wir sind nun wirklich mitten im Hochgebirge, Schnee und Eis um uns rundherum. Nerven kosten die Gletscherspalten und die Schneebrücken darüber. Wir hoffen einfach, dass sie halten. Diese zwingen uns auch, weiter hochzusteigen, um sie zu umgehen. Aber endlich haben wir es geschafft, um halb sechs am Abend erreichen wir die Hütte.

Auf dem höchsten Berg von Graubünden (und den Ostalpen)

Es lässt vermuten, dass dies nun die schwerste und anstrengendste Tour ist. Das Gegenteil ist aber der Fall, es ist die kürzeste der drei Tage. Von der Hütte auf den Gipfel sind es nur gut 400 Höhenmeter. Wir stehen also nicht allzu früh auf und starten nach sieben Uhr. Ist es anfänglich noch relativ schön, zieht schon bald Nebel auf. Wir steigen auf dem Gletscher hoch zum Einstieg des Grates. In den bewährten Seilschaften beginnen wir die Kletterei. Wir kommen gut voran, gehen am kurzen Seil, manchmal auch am gestreckten mit Sicherung. Das Nadelöhr ist die Abseilstelle, wo uns nun verschiedene Seilschaften entgegenkommen. Aber wir sprechen uns ab und kommen problemlos aneinander vorbei. Oben begegnen wir den Leuten wieder, die wir tags zuvor am Fortezzagrat schon angetroffen haben. Es stellt sich heraus, dass sie Tschechen sind und für vier(!) Tage in die Schweiz gereist sind, um den Piz Bernina zu besteigen.

Haben wir Aussicht?

Wir klettern weiter, queren einen kurzen Schneegrat, bevor es im Fels weitergeht. Der Gipfel kommt in Reichweite, aber wir sind immer noch von Nebel umhüllt. Nun gut Petrus, du hast noch ein wenig Zeit. Wir klettern weiter, sehen oben zwei Personen. Der Gipfel! Aber leider immer noch keine Sicht. So sind wir also auf dem höchsten Bündner und sehen nichts. Schade, aber kein Schaden. Da es doch recht kühl und windig ist, verweilen wir nicht lange und machen uns wieder an den Abstieg. Da öffnet sich doch tatsächlich kurz der Nebel und wir erblicken tausend Berge und das Rosegtal. Die Lücke schliesst sich bald wieder, wir klettern weiter, kommen an die Abseilstelle. Da wir ein eingespieltes Team sind, sind wir recht schnell mit abseilen. Die Seilschaften hinter uns müssen jedenfalls nicht lange warten wegen uns.

Absturz!

Weiter unten können wir, statt weiter abzuklettern, rechts hinaus abseilen und auf undeutlichen Pfaden absteigen. Ausser Roland sind schon alle unten, als er uns zuruft, dass jemand abgestürzt sei! Wir sollen nachschauen, ob es eine Möglichkeit gebe, zum Abgestürzten zu kommen, Wir eilen auf den Grat zurück und müssen feststellen: Geht nicht. Beni alarmiert die Rega, diese ist schon informiert. Es dauert lange, bis wir den Helikopter hören, aber er kehrt wieder um, weil eine Nebelbank die Sicht versperrt. Es gelingt Beni, mit dem Piloten in Kontakt zu treten. Dieser entlässt uns, wir können in die Hütte zurück, denn wir sind inzwischen doch etwas ausgekühlt. Mit einem zwiespältigen Gefühl erreichen wir diese.

Zurück über den Piz Palü

Der dritte Tag ist Heimreisetag. Aber zuerst müssen wir wieder zum Fahrzeug gelangen. Dies geht entweder wie auf dem Hinweg über den Fortezzagrat. Oder dann oben drüber über den Piz Palü. Wir entscheiden am Morgen, je nach Wetter. Um Mitternacht ist es sternenklar, beste Voraussetzungen für den Palü! Drei Stunden später (ich bin fast die ganze Nach wach) herrscht stockdicker Nebel. Oh nein! Aber beim Frühstück um fünf Uhr sieht man die Sterne wieder, wir starten um sechs beim ersten Morgenlicht. Die Stirnlampen brauchen wir nur kurz, bald können wir sie ausschalten. Es geht nun den gleichen Weg zurück wie auf dem Hinweg.

Man sieht nun die anderen Seilschaften, sie gehen in einer fast senkrechten Eiswand! Und durch diese müssen wir auch! Als wir aber dort sind, sieht die Sache völlig anders und viel entspannter aus. Wir müssen uns sicher konzentrieren und uns keinen Fehltritt erlauben, aber es ist nicht halb so wild. Nach dieser Steilstufe wird es flacher, so dass ich wieder hochschauen kann. Was sich mir da bietet, ist unglaublich: Goldig scheint der Morgenhimmel, die Berge sind in goldenes Licht getaucht. Wahnsinn! Fantastisch! Mich überkommen Emotionen. Schade, habe ich keine Zeit, in Ruhe zu fotografieren, es gäbe unglaubliche Bilder.

Über den Grat

Wir erreichen die Fuorcla Bellavista und stellen von Eis auf Fels um, ein langer Blockgrat liegt nun vor uns. Wir steigen ein. Genussvoll klettern wir über die Felsblöcke, mal links rum, mal rechts rum, mal drüber. Auf dem Gipfel des Piz Spinas legen wir eine Pause ein und geniessen die Aussicht. Danach geht es kurz im Fels weiter, bevor wir wieder Steigeisen anziehen. Die letzten Höhenmeter steigen wir im Eis hoch, dann erreichen wir den Westgipfel des Piz Palü (3898 müM.). Was für eine grossartige Aussicht! Wir halten uns aber nicht lange auf, gehen weiter zum um einen Meter höheren Hauptgipfel. Der ist mit einem fussbreiten Schneegrat verbunden, links und rechts geht es deutlich in die Tiefe! In höchster Konzentration, Schritt für Schritt queren wir am kurzen Seil den Grat und erreichen den Hauptgipfel. Von dort führt nochmals eine solche Himmelsleiter zum Palü Ostgipfel.

Ein steiler Abstieg

Auf dem Ostgipfel warten bereits drei Seilschaften, wir nutzen die Zeit, um uns nochmals zu stärken. Da man auf dem schmalen Grat nicht kreuzen kann, muss man Gegenverkehr abwarten, was hier der Fall ist. Als die aufsteigende Seilschaft den Gipfel erreicht, starten die anderen, am Schluss auch wir. Wieder ist es so ein schmaler Grat, der aber immer breiter, dafür auch immer steiler wird. Noch ein Schrund, dann sind wir wieder im „sicheren“ Gelände. Absturzgefahr gibt es nun keine mehr, dafür wieder Spaltengefahr. Wir knüpfen uns wieder zu einer Fünferseilschaft zusammen, Fabian, der Jüngste, geht voraus, ich zuhinterst. Souverän findet er den Weg, angeleitet durch Role.

Nicht schon wieder!

Wir erreichen eine Ebene, endlich wieder entspannt gehen. Da hören wir Helikopterlärm. Wahrscheinlich ist drüben im Klettersteig am Piz Trovat ein Unfall passiert. Aber unter uns, in der Seraczone, sehen wir Seilschaften, die warten, und am Spaltenrand Rettungspersonal. Nicht schon wieder! Wir warten oberhalb, möglichst versteilt und nicht auf den Spalten. Dann kommt der Helikopter angeflogen, jemand steigt ein. Dann erhalten wir das Signal zum Weitergehen. Es ist verdammt unheimlich, durch diese Seraczone mit den dünnen Schneebrücken zu gehen, gähnende Leere neben sich, wenn hier gerade eine Rettung stattgefunden hat. Wir sind heilfroh, als wir das alles hinter uns haben. Wie ich später erfahre, war das der Gast eines Bergführers, der in den Helikopter eingestiegen ist, der Bergführer war noch mit den Rettern vor Ort. Es war also glimpflich ausgegangen.

Letzter Aufstieg

Genau jener Bergführer hat Role am Vorabend in der Hütte empfohlen, den Wandfuss des Piz Cambrena und damit den kürzesten Weg zu meiden wegen akuter Steinschlaggefahr. Offensichtlich wissen das die anderen Seilschaften nicht, sie queren unbekümmert die Gefahrenzone, einer legt gar eine Pinkelpause ein dort. Nun, wir sind weit weg davon und daher sicher. Nun ist der Gletscher wieder blank, wir steigen hoch zur Fuorcla Trovat. Dort entledigen wir uns sämtlicher Bergsteigerutensilien und verstauen sie im Rucksack. Wir wandern auf dem Bergweg am Piz Trovat vorbei zurück zur Bergstation der Diavolezza, wo die Tour endgültig endet. Drei Tage emotionaler Achterbahn liegen hinter uns, aber es war sensationell! Vielen Dank, Role, für die drei wunderbaren Tage!

Glückliche Bergsteiger!

Wir gönnen uns etwas zu essen und zu trinken, bevor wir wieder die Heimreise antreten. Selbst für Fabian ist nun aber klar: Wir haben das Gebiet jetzt gesehen. Denn eines ist sicher, mit der fortschreitenden Klimakrise wird es nur noch gefährlicher. Wir sind dankbar, das wir das erleben durften und gesund und glücklich zurückgekehrt sind. Es war nicht allen vergönnt.

Übersichtskarte Berninagebiet

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