Eine Woche Skitouren und mehr in den Dolomiten. Mit Freunden vom SAC Homberg. Jedes Jahr wieder ein Highlight. Wir entdeckten eine für uns völlig neue Gegend mit Pulverschnee, steilen Couloirs und einer einmaligen Landschaft.
Anfahrtstag mit Panne
Die Anreise beanspruchte den ganzen Tag. Im Alpenrast Tyrol bei Imst trafen wir uns zum Mittagessen, bevor wir gemeinsam nach Wengen bei Alta Badia weiterfuhren, wo wir zwei Wohnungen gemietet haben.
Nach dem Bezug der Unterkunft macht sich allmählich der Hunger bemerkbar. Wir fahren alle nach Alta Badia zum gemeinsamen Einkaufen. Drei Einkaufswagen werden gefüllt, jeder hat noch eine Idee, was reingehört. Danach nichts wie zurück, Risotto kochen. „Wer hat das Risotto?“ fragt Beni in die Runde. Wir durchsuchen alles, finden aber kein Risotto. Auch der Mascarpone fehlt, ebenso das Frühstücksmüesli. Wir rätseln. Ich schaue mir den Kassenzettel an: Keine Spur von Risotto, Mascarpone und Müesli. Fazit: Im Spar in Stern steht in einem der Gänge ein gefüllter Einkaufswagen… Zum Glück hat es in Wengen auch einen Laden, wo wir wenigstens das Risotto besorgen können. Von Beni köstlich zubereitet, lassen wir es uns munden.
Einlauftour auf den Setsas
Die erste Tour soll eher etwas Kleines sein, wie der Setsas. Wir starten im Talboden, zuerst flach der Loipe entlang. Endlich beginnt der Weg zu steigen, durch lichten Lärchenwald gewinnen wir an Höhe. Über der Waldgrenze erblicken wir riesige Lawinenabgänge. Unser Bergführer Thom macht einen grossen Bogen, wählt eine möglichst flache Route. Bald erreichen wir den Grat, ich bin froh um eine Pause, meine Hüften schmerzen, und auch die Socken reiben an den Füssen. Wir geniessen die Aussicht, bevor wir weitergehen über den Grat. Ein Steilaufschwung trennt uns noch vom Gipfel. Ich verzichte darauf, will lieber noch hinunterfahren können, während die anderen hochsteigen. Während der Wartezeit leisten mir zwei Alpendohlen Gesellschaft.
Nach gefühlten zwei Stunden kommen die anderen wieder vom Gipfel zurück, ich mache mich parat. Der erste Hang ist recht guter Pulverschnee, es geht gut zum Fahren. Auch die weiteren Hänge gehen gut, der Bergführer achtet darauf, dass wir in den Schattenhängen, aber sicher vor Lawinen fahren. Durch den Wald abwärts gibt es eine Holzerei. Über die Ebene sind wir bald wieder zurück bei den Fahrzeugen. Thom weiss eine Alpbeiz, wo wir hinfahren und die Tour feiern.
Relive ‚Skitour Setsas‘
Alleine unterwegs
Nachdem ich nach der gestrigen Skitour kaum noch aufrecht gehen konnte wegen Hüftschmerzen, kündigte ich den Verzicht auf die heutige Skitour an. So starte ich alleine um sechs Uhr am Morgen zu Fuss. Erstaunlicherweise tut mir heute überhaupt nichts mehr weh. Ich steige durch das Dorf hoch, der Strasse entlang. Zwei Rehe äsen auf einer Wiese. Ich beobachte sie, sie beobachten mich. Und fressen dann weiter, unbeeindruckt. Ich verlasse die Strasse und folge dem Wanderweg, der durch ein Wäldchen führt. Ich horche erst mal. Wacholderdrosseln rätschen überall, Singdrosseln singen, Spechte klopfen. Der Frühling zieht auch hier ein.
Nach dem Wäldchen entdecke ich wieder drei Rehe. Sie wissen noch nicht, was sie von mir halten sollen. Mit der Zeit entscheiden sie sich aber fürs Weiterfressen. Ich erreiche die Barbarakapelle. Unterhalb singt eine Goldammer. Auf der anderen Talseite sinkt langsam der Mond, wird von der Sonne abgelöst. Ich steige höher, an Bauernhöfen vorbei. Ganz alleine, keine Menschenseele weit und breit. So schön! Bis ich in den Wald komme, da rennt mir ein kläffender Hund entgegen. Ich gehe unbeirrt weiter, der Hund gibt Ruhe und der Besitzer lächelt verlegen. Das war zum Glück meine letzte Begegnung mit Menschen und Hunden bis zur Rückkehr ins Dorf.
Doch noch ein Gipfel
Ich erreiche den Laghetto Ju da Rit, einen kleinen See. So jedenfalls steht es auf der Tafel, denn sehen tut man ihn nicht, er liegt unter dem Schnee. Ich zweige rechts ab, auf dem Wegweiser ist der Aussichtspunkt Crusc da Rit angegeben. Der Weg ist unverspurt, ich stapfe durch den Schnee. Als ich den anvisierten Aussichtspunkte sehe, entscheide ich mich zur Umkehr, zu heikel scheint mir das Unterfangen. So kehre ich zurück zum Seelein und steige auf die andere Seite hoch. Fast am Ausgang des Waldes sehe ich etwas Grosses davonflattern. Auerhahn oder Birkhahn? Ich weiss es nicht, aber es muss wohl eines von beiden gewesen sein. Ich steige hoch zum Gran Pizat, einem Aussichtspunkt. So erreiche ich doch noch einen Gipfel heute.
Nach der Pause steige ich ab auf einer leicht abgeänderten Route. Dort rennen nochmals zwei Rehe vor mir davon. Zurück im Dorf, genehmige ich mir einen Kaffee im erstbesten Restaurant.
Relive ‚Morning Mar 19th‘
Zum Piz dles Does Forceles
Wir starten dort, wo wir vorgestern unsere Tour beendet hatten, bei der Skihütte hinter Sankt Kassian. Flach geht es ins Tal hinein. Sobald der Weg ansteigt, bleibt der Schnee weg, so dass wir die Skis aufbinden müssen. Eine Stunde tragen wir sie durch die Schlucht hoch zum Col de Locia, bis es wieder genug Schnee hat auf der Hochebene. Dort geht es vorerst im Auf und Ab weiter. Als der Weg endlich ansteigt, versperren Latschen den Weg. Wir kämpfen uns durchs Gestrüpp. Endlich habe wir dieses hinter uns, wir können normal weitergehen. Links und rechts erheben sich steile Wände, wie in den Dolomiten üblich. Der Schnee ist an der Sonnenseite schon aufgeweicht, das gibt wohl eine wenig berauschende Abfahrt.
Bald einmal lässt der Bergführer das ursprüngliche Ziel, den Piz dles Cuntunnes, fallen, zu fortgeschritten ist die Zeit schon. Aber wir erreichen trotzdem einen Gipfel, den Piz dles Does Forceles, die Zwei-Pässe-Spitze (so vermute ich mal). Es ist nur eine Erhebung zwischen zwei mächtigen Felsgipfeln, aber immerhin. Die Aussicht ist jedenfalls erhaben. Wir rasten ausgiebig, während Thom die Abfahrt erkundet und einen Plan schmiedet. Einen guten Plan, wie sich herausstellen wird.
Wir machen uns also bereit für die Abfahrt, der Bergführer fährt voraus. Er sorgt dafür, dass immer nur eine Person im Hang ist, die Lawinensituation ist nicht harmlos. Aber der Schnee ist ein Traum! In stiebendem Pulverschnee vernichten wir Höhe. Immer, wenn wir denken, das war’s jetzt mit dem stiebenden Traum, kommt der nächste Hang mit flockigem Weiss, bis wir wieder an der Latschenzone anlangen. Diesmal erwischen wir den richtigen Weg, ohne Kampf. Dafür ist nun der Traum endgültig vorbei, wir überqueren die Ebene, bevor wir auf dem Pass wieder die Skis aufbinden. Aber es hat sich definitiv gelohnt! Wie zwei Tage davor kehren wir in der Skibeiz ein und feiern die Tour.
Relive ‚Morning Mar 20th‘
Kleiner Gipfel, steiles Couloir
Für diesen Tag war eine Wetterverschlechterung angesagt auf den Nachmittag, deshalb schlug der Bergführer eine kleinere Tour mit Liftunterstützung vor. Vermeintlich. Sie dauerte dann doch etwas länger.
Bei Corvara lassen wir uns von den Liften so hoch es geht transportieren, bevor wir aus eigener Kraft weitergehen. Die Schneedecke ist dünn, dafür ist auch am Himmel ein dünner Schleier. Ich weiss noch nicht, wie es auf der anderen Seite aussieht, aber ich bin froh, dass wir nicht auf diese abfahren müssen. In den Schattenhängen liegt auch hier noch Pulverschnee, was verheissungsvoll ist. Wir erreichen den Gipfel, den Sass di Ciampac, auch nur ein unbedeutender Gipfel, aber mit schöner Aussicht.
Nun lockt der schöne Pulverschnee, aber es ist heimtückisch: Die Schneedecke ist doch recht dünn, darunter lauern fiese Steine. Dies bekommt die Frau zu spüren, sie bleibt an einem hängen und taucht voll ein in den Schnee. Zum Glück ist da kein Stein drunter. Der Rest der Abfahrt ist für alle ein Vergnügen, jedenfalls bis zur Einfahrt ins Couloir. Der Schnee ist dort eher sulzig oder leicht decklig. Und es ist steil. Am Ausgang des Couloirs wird es flacher, aber da wir in den Ostalpen sind, folgt nun ein Sperrgürtel mit Latschenkiefern. Wir kämpfen uns durch diesen, immer wieder steckt jemand im Schnee oder bleibt an einer Latsche hängen. Höhepunkt ist ein Felsen: Da geht es einige Meter runter. Endlich können wir die Sicherungsgurten brauchen, die wir die längste Zeit mitschleppen. Der Bergführer lässt uns am Seil hinunter.
Es folgen nun nochmals Latschen, bevor wir den Talboden erreichen. Auf der Loipe skaten wir talauswärts. Bei einer Hütte schlägt der Bergführer eine Pause vor. Akzeptiert. Nun öffnen Beni und Sevi ihre Rücksäcke – und zaubern Wein, Brot, Fleisch und Käse hervor! Wir geniessen dieses Lawinenbuffet ausgiebig, bevor wir uns wieder auf die Strecke begeben. Mit Liften gelangen wir wieder ins andere Tal, auf der Skipiste sausen wir zum Ausgangspunkt zurück. Aber es ist wie eine andere Welt, dieser Rummel, dieses Gedränge. Ich weiss jetzt wieder, warum ich viel lieber Skitouren mache.
Relive ‚Morning Mar 21st‘
Gran Pizat zum Zweiten
Das Wetter für heute ist eher trüb und ich spüre wieder meine Hüfte, so dass ich auf die letzte Skitour verzichte und wieder dem Gran Pizat zustrebe. Meine Frau begleitet mich dabei solidarisch. Gut ausgerüstet, sie mit Fernglas, ich mit Kamera, steigen wir hoch. Ich zeige ihr, wo man welche Tiere sieht. „Hier gleich nach dem Wäldchen sah ich drei Rehe“. Sekunden später rennt tatsächlich eines davon. Auch die Goldammer ist wieder am ähnlichen Ort zu hören. Wir erreichen den Wald, wo mich Tage zuvor der Köter angekläfft hat. Diesmal ist weit und breit kein Mensch und kein Hund. Dafür hören wir ein anderes, schauriges Geheule. Wir schauen uns an: „Luchs!“ flüstere ich. Zurück in der Unterkunft wird die Frau dann nach dem Ruf suchen. Es tönt tatsächlich so, aber gemäss Website „ist dies kein zuverlässiges Bestimmungsmerkmal“. Aber es könnte einer gewesen sein.
Wir entdecken Singdrosseln, Fichtenkreuzschnäbel und andere Vögel. Beim Laghetto zweigen wir diesmal direkt links ab, denn die Frau ist auch mitgekommen, weil sie insgeheim hofft, die Raufusshühner zu sehen. Leider machen sie sich diesmal rar, weder hören noch sehen wir welche. Dafür sehen wir auf der Wiese zwei Gämsen. Auf dem Gipfel rasten wir und geniessen die Aussicht, soweit möglich.
Für den Abstieg nehmen wir den gleichen Weg. Zurück im Dorf, steuern wir wieder das erste Hotel am Platz an für einen Kaffee. Was muss, das muss. Und so endet denn die Skitourenwoche in den Dolomiten, nicht ganz wie gewünscht, aber wie erwartet. Dass es am nächsten Tag, dem Abreisetag, am Morgen in Strömen regnet, passt geradezu. Da fällt einem der Abschied leichter. Und schon werden Pläne fürs nächste Jahr gemacht.
Wunderbar! Sehr gern gelesen. Danke fürs Mitnehmen auf Deine Routen, Urs und allzeit eine gute Reise. Besonders fasziniert mich das dritt-letzte Bild und die Piepmätze auf dem letzten Foto.