Der SAC Homberg suchte die Einsamkeit ennet dem Gotthard und fand sie im Bleniotal. Zwei Gipfel an zwei Tagen, frühlingshafte Temperaturen und viel Schnee bescherten uns ein unvergessliches Erlebnis. Glück für uns war wahrscheinlich auch, dass es auch im Norden schön war, jedenfalls waren wir mutterseelenallein unterwegs.
Gleissendes Sonnenlicht empfängt uns beim Verlassen der Gotthardröhre. Der Unterschied zur Nordseite ist frappant: Enorme Schneemassen liegen noch da. Daran sollte also das Wochenende nicht scheitern. Bei Biasca biegen wir in das Bleniotal ab. Die Wälder sind noch kahl, blühende Kirschbäume setzen weisse Farbtupfer. Wir starten oberhalb Olivone von der Lukmanierpassstrasse aus. Auf Waldstrassen und über Weiden steigen wir auf zum Weiler Anvéuda.
Vor uns liegt das Ziel: Der Pizzo Rossetto, 2099 Meter hoch. Es ist warm, sehr warm. Der Weg wird wieder steiler, wir steigen zwischen lichtem Lärchenwald hoch. Auf dem Grat links von uns entdecken wir ein Gämsrudel, neun Tiere. Sie folgen den aperen Hängen, wo sie viel einfacher an ihre Nahrung kommen. Nach einer kurzen Pause nehmen wir den letzten Aufschwung in Angriff. Versanken wir vorhin noch fast im Schnee, so müssen wir jetzt auf dem gefrorenen und windgepressten Weiss aufpassen, dass wir nicht ausrutschen. Auf dem Gipfel bot sich uns eine grossartige Rundsicht.
Die Abfahrt ist erwartungsgemäss nicht ganz einfach im nassen Schnee, in Fachkreisen „Edelpflotsch“ genannt. Aber wir erreichen Anvéuda sicher, wir sind aber noch nicht am Ziel.
Wir müssen nochmals fast 300 Höhenmeter bewältigen, bevor wir nach Dötra abfahren können, wo unsere Unterkunft liegt. Dort müssen wir zuallererst mal unseren Durst stillen.
Der Vorteil, wenn man bei der Umstellung auf die Sommerzeit in einer Hütte übernachtet, ist der, dass man froh ist, wenn man endlich aufstehen kann. Dann vermisst man die fehlende Stunde auch nicht. So machen wir uns am nächsten Morgen früh auf den Weg zum Pizzo di Cadreigh. Die Schneedecke ist nun durchgefroren, was das Gehen wesentlich einfacher macht.
Die Sonne scheint milchig-trüb durch die Schleierwolken. Wir geniessen die kühle Morgenluft, auch dies erleichtert unseren Aufstieg. Vor dem letzten Aufschwung zum Gipfel entscheidet sich die Hälfte der Gruppe, den Hügel davor zum Gipfel zu ernennen und rastet da. Die andere Hälfte setzt den Weg fort und erreicht den 2516 Meter hohen Pizzo di Cadreigh. Nach einer etwas ruppigen Gipfelabfahrt vereinigt sich die Gruppe wieder. Gemeinsam fahren wir nun weiter. Die Verhältnisse sind nun perfekt: Die obersten zwei, drei Zentimeter sind angeschmolzen, darunter ist die Schneeschicht noch hart und tragfähig. Wir fahren, nein, wir schweben hinunter. Ein Traum! Fliegen kann kaum schöner sein.
Die Exposition und die Neigung der Hänge muss genau stimmen, sonst ist der Schnee zu hart oder zu weich. Unsere geübten Augen erkennen aber sofort das Potential eines Hanges, und das nützen wir aus. Der Traum endet dann bei Dötra, dort ist der Schnee schon sehr weich, unsere Kurven werden grösser. Bald setzt sich unser Weg auf dem Sommerpfad fort, was enge Weglein, Bäume und Sträucher bedeutet. Das ist unsere letzte Herausforderung, bevor wir wieder die Passstrasse erreichen. Müde und überglücklich packen wir zusammen und suchen das nächstbeste Restaurant auf.