Was soll das sein, Top of Ticino? Natürlich der höchste Punkt im Kanton Tessin, und das ist das 3402 Meter hohe Rheinwaldhorn. Mit dem SAC Homberg bestiegen wir ihn an einem langen Tag.

Die Tour war ausgeschrieben im Tourenprogramm des SAC Homberg, aber ausser der Frau und ich interessierte sich offensichtlich niemand dafür. Schade, die Leute haben viel verpasst, aber gut für uns. So fahren wir zu Dritt, der Tourenleiter, die Frau und ich, mit dem Zug ins Tessin. In Malvaglia transportiert uns eine in die Jahre gekommene Seilbahn hoch, bevor der schweisstreibende Aufstieg in die Capanna Quarnei beginnt. Wegen vorangegangenen Unwettern sind verschiedene Wanderwege gesperrt, wir müssen verschiedene Umleitungen nehmen. Nach knapp vier Stunden erreichen wir die Hütte. Das Rheinwaldhorn verhüllt sich in Wolken, wir sehen unser Ziel nicht.

Aufbruch im Morgengrauen

Am nächsten Morgen brechen wir um fünf Uhr auf, es dämmert. Wir überqueren die Alpe di Quarnei und steigen dann steil hoch zum Passo di Laghetto. Das Gelände hat es in sich für einen Bergwanderweg, zum Teil geht, nein kraxelt man quasi mitten im Bach hoch. Oben auf dem Pass blicken wir auf den Laghetto dei Cadabi, der noch teilweise von Eis bedeckt ist.

Auf dem Grat

Nun wird es Ernst, wir ziehen die Helme an. Zuerst steigen wir über Felsblöcke, ohne die Hände zu benötigen, weiter oben wird es steiler. Wir stecken immer noch mitten im Nebel, sprich der Wolke, die das Rheinwaldhorn umwabert, was der Tour etwas Mystisches verleiht. Zwei junge Männer, die uns anfangs gefolgt sind, haben eine anderes Ziel, wir sind ganz alleine unterwegs am Grat. Wir steigen in einfacher Kletterei höher, zwischendurch müssen wir Firnfelder überwinden. Die steilen und schwierigeren Stellen sind mit Drahtseilen oder Ketten gesichert. Es macht Spass, in so abwechslungsreichem Gelände unterwegs zu sein. Eine Kletterstelle weist die Schwierigkeit 1 auf und ist mit einem Drahtseil gesichert, lässt sich aber problemlos ohne klettern. Schwieriger ist ein Kamin, der aber ebenfalls mit einem Drahtseil gesichert ist.

Ein grosses Schneefeld, das sich immer mehr aufsteilt, veranlasst uns, die Steigeisen anzuziehen und den Eispickel hervorzunehmen. Daran sehe ich, dass ich schon lange in die Berge gehe: Pickel und Steigeisen sind noch komplett aus Stahl und wahnsinnig schwer im Vergleich zu neuer Ausrüstung, aber voll funktionstüchtig. Wozu soll ich also neue Ausrüstung kaufen für die paar Hochtouren, die ich mache? Wir steigen weiter hoch, ab und zu versinkt man etwas tiefer im Schnee.

Top of Ticino!

Auf dem Grat ziehen wir die Steigeisen wieder aus, der Rest bis zum Gipfel ist Fels. Kurz davor wird es nochmals interessant, einen Gendarmen muss man rechts umgehen, man hat ziemlich viel Luft unter den Füssen. Aber auch diese Passage ist drahtseilgesichert. Nun bleiben nur noch ein paar Meter über einen Blockgrat, dann haben wir den Gipfel erreicht. Was für eine Aussicht! Würde ich normalerweise schreiben, aber wir haben leider keine, der Gipfel ist immer noch in den Wolken, obwohl vorher ab und zu die Decke aufgerissen ist und wir Sonne und blauen Himmel sahen. Nun ja, ist es eben so, grossartig war die Kletterei trotzdem. Wir sind übrigens nicht die einzigen hier, mehrere Seilschaften kamen von den Adulahütten her, von da ist der Zustieg kürzer und eine reine Gletschertour.

Ein langer Abstieg

Nun erwartet uns ein langer Abstieg. Da es sich um einen Gletscher handelt, seilen wir an (und damit der Tourenleiter das Seil nicht vergebens mitgenommen hat). Im Schnee geht es rassig abwärts, wir erreichen bald wieder Fels, wo wir uns den Eissachen und des Seiles entledigen.  Über Blöcke klettern wir abwärts, dazwischen gibt es immer wieder Schneefelder. Kurz vor der Läntalücke steigen wir ostwärts ab, Schnee- und Geröllfelder wechseln sich ab. Die Wegfindung ist nicht ganz einfach und wird es auch weiter unten ohne Schneefelder nicht. Wir müssen immer wieder Bäche überqueren.

Im flacheren Teil kommen wir schneller vorwärts, aber auch hier müssen wir den Weg immer wieder suchen, er ist nicht markiert wie Bergwege, es sind nur Wegspuren vorhanden, die rudimentär mit Steinmannli markiert sind. Bei der Zapporthütte legen wir einen Trinkhalt ein, bevor wir weiter absteigen. Nun geht es rassig, da ist ja wieder ein Bergweg. Weit gefehlt. Immer wieder gibt es Gegenanstiege, dann müssen Lawinenfelder gequert werden, dann ist der Weg abgerutscht und man muss einem notdürftig erstellten und markierten Weg folgen. Es ist jedenfalls ziemlich nervig, wenn man eigentlich nur noch runter und nach Hause will.

Noch lange nicht zu Hause

Aber dann sind wir endlich im Flachen. Jetzt nur noch der Panzerpiste entlang, dann sind wir bei der Bushaltestelle. Denkste. Rund 4 ½ Kilometer sind es bis zur Haltestelle! Also latschen wir die halt auch noch. Endlich dort, in einer Viertelstunde fährt der Bus. Denkste. Er hat so massiv Verspätung, dass wir den Anschluss in Bellinzona sicher nicht mehr erreichen. Die SBB-App schlägt uns eine Alternative vor: Mit dem verspäteten Bus nach San Bernardino, dort in den noch mehr verspäteten Bus Richtung Chur umsteigen und erst noch früher zu Hause sein. Genial! Leider meint der Chauffeur des Postautos, wir müssten in das andere umsteigen. Wir fahren also auf den San Bernardino. Erst allmählich dämmert es mir: Es war San Bernardino Villagio, der Ort gemeint, nicht der Pass! Wir machen also eine Passfahrt auf die andere Seite und sehen so die Gegend zum ersten Mal. In San Bernardino Villagio steht ein Bus nach Thusis. Ob uns das etwas bringt? Kurz nachschauen: Ja, könnte hinhauen. Also einsteigen, schon fährt er los. In Thusis kommen wir mit etwas Verspätung an, reicht aber gut. Erst recht, nachdem für unseren Zug eine Verspätung von sechs Minuten angekündigt wird. Und in Chur haben wir eine Umsteigezeit von vier Minuten! Mein Ärger steigt wieder. Die SBB-App macht aber keine Änderungsvorschläge. Also könnte der IC nach Zürich warten, schliesslich bringt der Zug alle Leute. Tatsächlich, in Chur steht er immer noch bereit, wir steigen um in den Speisewagen. Mein Puls beruhigt sich, wir bestellen etwas zu essen und trinken und geniessen den Rest der Fahrt. Ein versöhnliches Ende. Kurz vor zehn Uhr am Abend sind wir zu Hause. Was für ein Erlebnisreicher Tag mit Hochs und wenigen Tiefs!

Infos

Die Hochtour ist für geübte Alpinisten einfach und die Aussicht wäre wohl überwältigend.

Start: Capanna Quarnei
Ziel: Haltestelle Hinterrhein, Tunnel Nordportal
Route: Via Malvaglia
Distanz: 20 Kilometer
Höhenmeter: 1500 Meter
Total Zeit: 11 Stunden
Schwierigkeit: WS, 1
SAC-Tourenportal: Rheinwaldhorn 3402 m
Höhepunkte: Kletterei auf den Gipfel, Aussicht (wenn es keinen Nebel hat)
Alternative: Einfachere Route von den Adula-Hütten aus

Relive ‚Top of Ticino‘

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