Auffahrtstage, vier Tage, um etwas zu unternehmen. Da bietet sich der Jurahöhenweg geradezu an. Während wir bis jetzt immer von zu Hause aus gestartet sind, hatten wir diesmal eine längere Anreise in den Waadtländer Jura. Aber sie hatte sich definitiv gelohnt: Eine Landschaft zum Verlieben präsentierte sich uns.

Die beiden Seen Lac de Joux und Lac Brenet
Grossartige Aussicht von der Dent de Vaulion ins Vallée de Joux

Die Einlauftour

Das Wetter ist ziemlich trist an diesem Auffahrts-Donnerstag. Nach dreistündiger Anfahrt entsteigen wir in Le Day dem Zug, um noch eine kurze Wanderung zu unternehmen, wir wollen ja nicht nur reisen. Es nieselt noch leicht, doch auch das geht vorbei. Wir steigen durch den leuchtendgrünen Buchenwald hinunter zum Saut du Day an der Orbe, wo wir zwei Möglichkeiten haben, auf die andere Seite zu gelangen: Entweder über die Brücke oder abwärts durch einen Tunnel. Wir wählen der besseren Aussicht wegen die Brücke. In vielen Armen fällt das Wasser über die Steilstufe. Die Frau schlägt vor, mal zuerst abzusteigen und dann durch den Tunnel wieder hoch. Also zuerst abwärts, wo die Orbe wieder ruhiger fliesst.

Ein Tunnel unter dem Fluss durch

Ein grosses Becken würde im Sommer zum Baden einladen, aber gelbe Warnschilder zeigen an, dass man das besser sein lassen sollte wegen spontanem Wasseranstieg, ausgelöst durch das Kraftwerk oberhalb. Nun queren wir also den Tunnel, tappend gehen wir vorwärts, denn es ist zappenduster. Das Licht am Ende des Tunnels sehen wir zwar, aber nicht was genau vor uns liegt. Wir schaffen es ohne Schaden und stehen nun wieder auf der ursprünglichen Seite, steigen wieder hoch zur Brücke und queren diese nochmals, setzen unseren Weg jetzt aber links hoch fort.

An den Kletterfelsen vorbei

Rechts erheben sich steile bis überhängende Felsen – und da finden sich tatsächlich Kletterrouten, bei meiner aktuellen Kletterform aber weit ausserhalb des Möglichen. Der Pfad schlängelt sich schon den Felsen entlang, immer ansteigend. Ich erreiche gerade eine Waldstrasse, da fährt ein Auto zu. Ich werfe dem Fahrer schon böse Blicke zu, da parkiert er, steigt aus und entschuldigt sich. Er sei in der Gegend für die Wanderwege zuständig und wolle diesen hier besser markieren. Ach so, na dann, das ist ein Grund. Er schwärmt von der Gegend als Wandergebiet (logisch) und meint, während der Schneeschmelze oder wenn sie den Stausee leeren sei der Wasserfalls besonders imposant.

Wir setzen unsere Wanderung fort, überqueren die Staumauer und sehen zum ersten Mal den Viaduc du Day. Auf der anderen Seite steigt der Weg weiter an bis zum Waldrand. Als ich eben ans Licht treten will, erblicke ich eine Gämse und bleibe sofort stehen. Wir beobachten sie eine ganze Weile, sie uns. Solange wir uns nicht bewegen, frisst sie weiter, trottet dann davon.

Auf dem Viadukt

Der Wanderweg geht nun parallel zur Bahnlinie und unterquert den besagten Viadukt. Das Interessante: Man kann ihn auch als Fussgänger überqueren, unterhalb des Bahntrasses. Obwohl wir nicht auf die andere Seite müssen, gehen natürlich gleichwohl. Wer will sich so einen Ausblick schon entgehen lassen! Der Viaduc du Day wurde ursprünglich als Gitterträgerkonstruktion aus Schmiedeeisen erbaut, genügte aber schon bald nicht mehr. Sie wurde durch eine Stein- und Betonkonstruktion ersetzt. Wir setzen unseren Weg fort der Orbe entlang, die hier gemächlich fliesst. Von einem geeigneten Standort aus warte ich, bis endlich ein Zug über den Viadukt fährt. Leider war es nicht der TGV, aber ein Regionalzug tut’s zur Not ja auch.

Bald erreichen wir Vallorbe und damit eine vertraute Umgebung. Das Musée du fer et du chemin de fer kennen wir bereits von unserem Aufenthalt vorletzten Herbst während der Transjurane. Wir haben somit unser Tagesziel erreicht, eine Belohnung verdient. Und das Wetter hat entgegen der Prognose auch mitgemacht. Was will man mehr.

Start: Bahnhof Le Day
Ziel: Vallorbe
Strecke: Le Day – Saut du Day – Viaduc du Day – Vallorbe
Distanz: 7.5 Kilometer
Höhenmeter: 240 Meter
Dauer: 2 Stunden
Schwierigkeit: T1
Höhepunkte: Saut du Day, Viaduc du Day
Übernachtung: „Au Fil de l’Orbe“, 2 Zimmer, reichhaltiges Frühstück, Isabelle Vaudroz spricht deutsch.

Zur Dent de Vaulion

Das Wetter ist wie ausgewechselt. Nach dem stärkenden Frühstück machen wir uns sofort auf, strahlend blauer Himmel empfängt uns draussen. Vorerst geht es einfach nur aufwärts, hoch durch den Wald. Wegen Holzschlag gibt es einen kleinen Umweg, der aber vermutlich interessanter ist als die offizielle Route. Jedenfalls geniessen wir eine schöne Aussicht auf Vallorbe. 400 Meter weiter oben treten wir wieder aus dem Wald und erblicken die Alpen, so gut das geht durch den Dunst. Wir steigen westwärts weiter, über Weiden und durch lockeren Wald. Silvan findet immer wieder spannende Blumen und erklärt uns, was nun speziell daran ist und wie sie sich von ähnlichen Arten unterscheiden.

Auf dem Grat

Der Weg wird schmaler, wir sind wieder im Wald, rechts geht es steil hinunter. Das Gelände, in dem sich Gämsen sicher fühlen, denn wir erblicken weiter unten drei, zwei grosse und ein Gämskitz. Eine Antenne kündigt den Gipfel an, bald sind wir oben. Es wird nochmals steil und steinig, bevor der Weg in eine ebene Wiese übergeht. Ein Blick zurück eröffnet uns ein grossartiges Panorama auf den Mont d’Or, Vallorbe, Weissenstein und andere Juraberge.

Weitsicht auf dem Gipfel

Wir erreichen den Gipfel. Waren wir vom Start her mutterseelenallein unterwegs, erleben wir jetzt eine Art Kulturschock: Es wimmelt hier nur so vor Leuten! Dutzende bevölkern den Gipfel. Ein Blick auf die andere Seite runter zeigt, warum das so ist: 500 Meter Luftlinie entfernt liegt die Buvette de la Dent de Vaulion. Und bis dahin kann man mit dem Auto fahren. Und wo man mit dem Auto hin kann, sind auch massenhaft Leute.

Wir konzentrieren uns aber auf die Aussicht, die einfach phänomenal ist, ein 360°-Panorama vom feinsten, praktisch die ganzen Westalpen auf einen Blick, dann süd- und nordwärts der Jura und im Westen die Wälder der Franche-Comté in Frankreich. Gleich südlich erhebt sich der Mont Tendre, der höchste Schweizer Juraberg, unser morgiges Ziel. Er scheint noch weit weg. Und zu unseren Füssen blüht massenhaft der Frühlingsenzian. Und wir treffen auch drei Damen an, die uns gestern schon überholt und im gleichen B&B übernachtet haben.

Am Lac de Joux

Wir steigen ab nach Le Pont, lassen die Buvette aus. Viele Leute kommen uns entgegen, die Dent de Vaulion scheint ein sehr beliebter Berg zu sein. Lange haben wir den Lac de Joux vor uns, der dunkelblau im Tal ruht. Bald treffen wir auf den Weg, den wir schon auf unserer Transjurane genommen. Wir erreichen den See und damit Le Pont. Noch sind wir aber nicht am Ziel. Zuerst trinken wir etwas im Restaurant au Lac, wo wir wieder auf die drei Damen treffen, im örtlichen Dorfladen ergänzen wir unseren Lunch, bevor wir uns auf die Weiterreise dem See entlang machen. Nach weiteren zweieinhalb Kilometern kommen wir in L’Abbey an, wo unsere Unterkunft liegt, die „Croisée de la Joux“. Das ganze Gebäude wurde komplett renoviert und wartet mit schönen Zimmern zu vernünftigen Preisen auf.

Start: Vallorbe
Ziel: L’Abbey
Strecke: Vallorbe – La Mâche – Dent de Vaulion – Le Pont – L’Abbey
Distanz: 14 Kilometer
Höhenmeter: 790 Meter
Dauer: 3 ¾ Stunden
Schwierigkeit: T1 (gelb markiert, aber vor dem Gipfel ist schon Trittsicherheit gefragt)
Höhepunkte: Aufstieg auf die Dent de Vaulion, Aussicht
Übernachtung: Croisée de Joux in L’Abbey, auch mit Halbpension

Nach dem Essen gehe ich nochmals an den See, die Sonne steht schon tief. Das sollte ein paar schöne Bilder geben.

Auf dem höchsten Schweizer Juraberg

Die Wanderung startet intensiv, steil steigt der Weg an zum Wald. Die Wiese davor ist voller Schlüsselblumen, ein gelbes Meer. Durch den Wald steigen wir weiter hoch, erreichen eine grosse Lichtung. Dort hinten bewegt sich doch was! Etwas braunes, ein Reh. Es sieht uns, lässt uns nicht aus den Augen. Kaum bewegen wir uns wieder, rennt es davon und bellt wie ein Hund. Durch den Wald gelangen wir nach Les Croisettes, der einzigen geöffneten Buvette auf der ganzen Tour, aber es ist noch zu früh zum Einkehren.

Auf der Wanderautobahn

Also gehen wir weiter, hören einen Schwarzspecht rufen. Bei Pré de l’Haut-Dessous können wir einen Habicht beobachten, der sich einen kurzen Luftkampf mit einem Mäusebussard liefert. In der Ferne ruft der Kuckuck, kein Zivilisationsgeräusch dringt an unser Ohr. Und wir sind mutterseelenallein unterwegs. Gewesen. Denn nun erreichen wir den Jura-Höhenweg, der vom Col du Mollendruz her kommt. Dort wäre eigentlich die logische Unterkunft für diese Route, aber das Hotel ist schon seit einiger Zeit wegen Konkurs verwaist. Wir setzen unseren Weg fort, Silvan findet wieder jede Menge Blumen.

Im Schnee

Wir gewinnen Höhe, und da liegen auch noch Altschneefelder. Wer Weg ist sumpfig, wo der Schnee erst gerade geschmolzen ist, blühen bereits die Alpenglöckchen. Es wird flacher, wir haben sozusagen den Grat erreicht, ein langer, welliger Rücken. Wir gehen vorbei am Chalet du Mont Tendre, das noch geschlossen hat. Und dann die Aussicht. Immer wieder die Aussicht. Die Alpen. Der Genfersee. Der Gipfel. Angekommen. Beeindruckend auch die Trockensteinmauer: Sie zieht sich kilometerweit über den ganzen Mont Tendre.

Höher geht’s nicht mehr

Auch wenn wir uns kaum satt sehen können, wir müssen irgendwann weiter. Der Abstieg ist sanft, nicht so steil wie von der Dent de Vaulion. Mal über Weiden, mal durch Wälder führt uns der Weg zum Col du Marchairuz. Bis dahin sind es aber noch ein paar Kilometer. Silvan hält sich tapfer mit seinem Bein, das er im Januar gebrochen hat. Und je näher wir dem Ziel kommen, desto schneller wird er. Es wird lauter, Motorengedröhn. Ein untrügliches Zeichen, dass es nicht mehr weit ist. Beim Hotel du Marchairuz gönnen wir uns etwas zu trinken und ein Stück Kuchen. Verdient haben wir es! Und wer kommt da kurz nach uns an? Natürlich, die drei Damen! Man trifft sich auf so einem Höhenweg immer wieder.

Start: L’Abbey
Ziel: Col du Marchairuz
Strecke: L’Abbey – Les Croisettes – Pré de l’Haut Dessous – Chalet de Pierre – Chalet du Mont Tendre – Mont Tendre – Chalet de Yens – Cabane du Servan – Grand Cuney – Monts de Bière Derrière – Col du Marchairuz
Distanz: 18.4 Kilometer
Höhenmeter: 900 Meter
Dauer: 5 Stunden
Schwierigkeit: T1
Höhepunkte: Aufstieg nach Pré de l’Haut Dessous, Aussicht vom Mont Tendre, generell die Landschaft
Übernachtung: Hôtel du Marchairuz, verschiedene Zimmergrössen, einfache Unterkunft und einfaches Essen, aber für eine Übernachtung reicht es

Abbruch

Am Sonntag käme die nächste Etappe vom Col du Marchairuz nach St-Cergue. Die Wetteraussichten waren aber schlecht, so dass wir schon ziemlich am Anfang beschlossen, direkt nach Le Brassus abzusteigen. Und so war es denn auch, es regnete in der Nacht, Gewitter eingeschlossen. Am Morgen hört es auf, als wir uns zum Frühstück begeben. Als wir uns abmarschbereit machen, nieselt es. Und als wir losmarschieren, regnet es in Strömen. Alles ist rutschig, die Steine, die Wurzeln, die Erde. Wir gehen abwärts, schauen kaum links oder rechts. Jedenfalls können wir unsere Regenkleidung ausgiebig testen. Und wir treffen während der ganzen Wanderung keinen einzigen Menschen an (was auch nicht weiter verwunderlich ist).

Aber trotz Hudelwetter: Diese Landschaft ist einfach umwerfend schön, auch bei Regen. Dieser Zauber, den sie ausstrahlt. Trotzdem schauen wir, dass wir möglichst schnell ins Tal kommen. Statt der angegebenen 2 Stunden 10 Minuten hatten wir eineinhalb Stunden gebraucht. Bei schönem hätten wir mindestens eine Stunde länger gebraucht. Ach nein, dann wären wir nach St-Cergue gewandert.

Allgemeine Informationen

Die beiden Etappen des Jura-Höhenweges führen durch den Parc Jura vaudois, der sich nördlich von Romainmôtier bis zur La Dôle südlich von St-Cergue erstreckt und auch den Grand Risoud umfasst, mit 120 km² die grösste Waldfläche im Jura. Der Lac de Joux gefriert im Winter regelmässig zu. Früher wurde im Winter das Eis abgebaut und nach Deutschland und vor allem nach Frankreich exportiert, wo es in Hotels, Brauereien und Spitälern gebraucht wurde.

Die Landschaft im Jura vaudois ist für mich eine der schönsten der Schweiz. Mal sanft, mal wild, halbgezähmt und noch recht ursprünglich. Die beste Jahreszeit scheint für mich der Frühling zu sein: Die Blumen blühen, es hat noch nicht viele Touristen und keine Kühe. Wenn man einen sichtigen Tag erwischt, hat man wohl eines der grossartigsten Panoramen vor sich: Fast die ganzen Alpen vom Boden- zum Genfersee und das Mittelland, im Westen die Hügellandschaft von Frankreich bis zum Horizont. Wir werden jedenfalls wieder ins Vallée de Joux zurückkehren, es gibt noch viel zu entdecken, zum Beispiel den Grand Risoud mit seinen mächtigen Tannen, die weltbekannt sind bei Instrumentenbauern.

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