Das Hinterland von Locarno, genannt Locarnese, ist bergig, wild und wunderschön. In drei Etappen sind wir durch vier Täler und über drei Pässe und somit durch das Gebiet des künftigen Parco Nazionale del Locarnese gewandert (Nachtrag: Dieser wurde leider abgelehnt und damit eine grosse Chance vertan. Selber Schuld.). Was für ein Erlebnis! Die Tour entspricht einem Teil des Trekking dei Fiori, so dass wir sie entsprechend Via dei Fiori nennen. Für die Blumen waren wir allerdings Ende Juli zu spät dran, das tut aber dem eindrücklichen Erlebnis keinen Abbruch.

Valle di Vergeletto
Valle di Vergeletto

Das Gebiet hinter Locarno war uns bis jetzt gänzlich unbekannt. Ein Fehler, den wir nun behoben haben. Denn was uns im Gebiet des neuen Natinalparks Locarnese erwartete, war schlichtweg grossartig. Mit so viel Einsamkeit zur Hauptferienzeit, so viel grandioser Landschaft hätten wir nicht gerechnet, die höchsten Erwartungen wurden noch übertroffen.

Bei Spruga: Dafür war es noch zu früh
Bei Spruga: Dafür war es noch zu früh

Tag 1: Spruga – Passo del Bùsan – Capanna Arena

In Intragna besteigen wir das Postauto ins Onsernonetal, das uns nach Spruga bringen soll. Bei Cavigliano (wo wir besser ausgestiegen wären aus dem Centovalli-Bähnli) zweigt die Strasse ab ins wilde Onsernonetal. Und es geht gleich zünftig ab. Eine steile, enge Strasse windet sich hoch über dem Talboden dem Hang entlang. Wer nicht schwindelfrei ist, sollte im Bus besser rechts sitzen. Und immer wieder passieren wir ein Dorf, das wie ein Schwalbennest am Hang klebt. Und jedes ebene Plätzchen ist von einem Auto besetzt. In einem Dorf ist wohl gerade Zeit für die Znünipause*, jedenfalls lässt der Chauffeur das Postauto und die Fahrgäste mitten auf der Strasse stehen und geht im Ristorante daneben einen Kaffee trinken. Die Welt kann warten. Nach über einer Stunde und dem ersten Abenteuer erreichen wir Spruga, den Ausgangspunkt unserer Wanderung. Wir vertrödeln keine Zeit und starten gleich, denn unser erstes Ziel, die Capanna Arena im Valle di Vergeletto, ist noch weit weg. Und der Tarif wird auch gleich durchgegeben: Es geht steil nach oben. Nach dem nächtlichen Regen liegt noch viel Feuchtigkeit in der Luft und die Sonne meint es auch wieder gut mit uns. So sind wir froh, dass das erste Teilstück durch einen Buchenwald führt. Aber schon auf der ersten Alp, der Alpe Pian Secco, eröffnet sich uns der Blick über das waldreiche Onsernonetal. Nach der Alp lösen Lärchen die Buchen ab. Wir gehen dadurch immer noch im Schatten, aber es ist heller. Wunderschön schlängelt sich der Pfad durch den Wald.

Bald erreichen wir die Alpe Pesced, von wo wir den Lago Maggiore erblicken können. Sensationell, diese Aussicht! Fabian kämpft vom Start her, fühlt sich müde. Ich nehme ihm deshalb den Rucksack ab.
Der Weg führt wieder an Lärchen vorbei, aber nicht mehr so steil. Nachdem wir die letzten Bäume hinter uns gelassen haben, erblicken wir unser Zwischenziel, den Passo del Bùsan. Eine Viertelstunde später haben wir den erreicht, Fabian ist froh. Und wieder werden wir mit einer sensationellen Aussicht auf den Lago Maggiore und den kleinen Bergsee Laghetto dei Saléi belohnt. Was für ein Anfang! Und wir sind kaum anderen Leuten begegnet. Erst hier oben häufen sich die Wanderer. Wie wir später erfahren, erleichtert eine Seilbahn von Vergeletto her den Zugang. Während Fabian auf dem kürzesten Weg in die Hütte will, möchte Silvan noch den Pilone besteigen, sonst sei er am Abend ja nicht müde… So teilen wir uns auf, meine Frau macht sich mit Silvan an die Besteigung des Pilone, während wir zwei anderen uns an den Abstieg machen.

Zuerst geht es steil nach unten, beim nächsten Wegweiser nach links in stetigen Auf und Ab. Grosse Granitplatten, die sich in unserem Garten auch sehr gut als Tisch machen würden, erleichtern das Gehen. Wieder begleiten uns Lärchen, aber auch der Lärm des Steinbruches im Tal. Fabian ist die Müdigkeit plötzlich nicht mehr anzumerken, er wird immer schneller, je näher wir der Hütte kommen. Am Schluss läuft er beinahe. Mitten im Nachmittag erreichen wir unser Ziel, ein fantastischer erster Wandertag endet. Wir wollen nun unsere Tour erst mal begiessen, Fabian kriegt sein Elmer Citro, ich aber kein Bier, denn es hat nur Heineken. Na ja, in der Not frisst der Teufel ja auch Fliegen. Wir geniessen jedenfalls die Aussicht.
Später kommt eine holländisch-französische Familie mit zwei Kindern, die halb so alt sind wie unsere. Sie sind mit der Seilbahn hochgefahren und planen, am nächsten Morgen wieder ins Tal abzusteigen. Eineinhalb Stunden später trifft auch der Rest meiner Familie nach erfolgreicher Besteigung des Pilone ein. Wir verbringen einen gemütlichen Hüttenabend und gehen früh zu Bett.
*) Neun-Uhr-Pause

Tag 2: Capanna Arena – Passo della Cavegna – Cimalmotto

Am nächsten Morgen, nachdem wir auf der Terrasse an der Sonne gefrühstückt haben, starten wir zur zweiten Etappe. Allerdings geraten wir gerade in die Rushhour, eine ganze Ziegenherde versperrt uns den Weg. Dann aber können wir los. Der Weg führt zuerst geradeaus, bis er jäh abfällt. Eine Treppe weist uns den Weg steil nach unten. Auf kürzester Distanz vernichten wir so gegen 20 Höhenmeter, die wir anschliessend wieder allmählich hoch steigen müssen.

Aber daran denken wir gar nicht, wir lassen uns lieber von der grossartigen Umgebung begeistern. Durch die Lärchen hindurch, manchmal auch mit freier Sicht, können wir die nächsten beiden Zwischenziele, die Alpe Porcaresc und den Passo della Cavegna, sehen. Auf der Alpe di Madéi hören wir plötzlich ungewöhnliche Laute. Wir sind möglichst leise, flüstern nur noch. Das müssen wohl Rauhfusshühner sein, sehen können wir sie allerdings leider nicht. Dafür geniessen wir die fantastische Landschaft. Wir sind mutterseelenallein auf diesem grossartigen Wanderweg unterwegs, kaum zu glauben. Uns ist es aber ganz recht. Fabian ist nichts mehr von der gestrigen Schwäche anzumerken, wir müssen schauen, dass wir Schritt halten können. Bald erreichen wir die Alpe Porcaresc, die noch ganz urtümlich ist. In der Coop-Zeitung war in der Woche zuvor ein Bericht über genau diese Alp. Da die Infrastruktur nicht mehr den Anforderungen der Lebensmittelverordnung entspricht, muss sie saniert werden, worin die Betreiber vom Detailhändler finanziell unterstützt werden.

Wir machen allerdings nur kurz Pause, bevor wir den steilen Anstieg zum Pass in Angriff nehmen. Fabian ist wieder nicht zu bremsen, lange vor uns geniesst er die Aussicht vom Übergang. Auf der anderen Seite erblicken wir den Laghetto di Cavegna, wohin wir sogleich absteigen und an dessen Ufer wir die Ruhe geniessen. Malerisch liegt er da, eingebettet in einen Felskessel. Wir folgen dem Bach, der dem See (wohl unterirdisch) entspringt. Ein steiler Weg führt in die nächste Geländekammer, einem Moor. Wunderschön, wie sich die Lärchen und andere Bäume daraus erheben, vereinzelt stehen abgestorbene Bäume, die der ganzen Szenerie etwas Wildes verleihen.

Aber schon bald steigen wir die nächste Stufe hinunter, die uns durch Erlengebüsch führt und nur mässig interessant ist. Dafür amüsieren wir uns über drei Wanderer, die uns entgegenkommen. Es ist halb eins, und sie wollen noch in die Capanna Saléi. Nun, das finden wir sehr ambinioniert, zumal der mittlere der drei schon einen ziemlich kaputten Eindruck macht. Wir erreichen die nächste Alp, die Alpe di Sfii. Ein idealer Platz für eine Pause, denn hier können die Kinder am Ri di Sfii Steinmandli bauen. Und Schuhe trocknen, die beim Spielen nass geworden sind… Am Ende der Ebene geht der Weg nochmals zünftig in die Beine, im Zickzack steigen wir durch Fichtenwald ab. Dann eine Brücke. Dann nochmals hoch. Ziemlich hoch,  nochmals ungefähr 150 Höhenmeter. Wir durchqueren Cimalmotto auf unserem Weg zum Rifugio La Regia,  das am Waldrand oberhalb des Dorfes liegt. Das Rifugio wird, obwohl es nahe beim Dorf liegt, nur mit Solarstrom versorgt. Trotzdem müssen wir nicht auf eine warme Dusche verzichten, was wir nach zwei Tagen schwitzen sehr zu schätzen wissen (Energiewende ahoi!).

Tag 3: Cimalmotto – Passo Quadrella – Bosco Gurin

Der gestrige Nachteil ist unser heutiger Vorteil. Wir können höher oben starten und betreten den Wald gleich hinter dem Rifugio. Der Himmel ist nicht mehr blau, sondern grau und wolkenverhangen. Der übliche Wanderweg geht weiter westlich hoch, wir sind auf einem wenig begangenen Pfad, was sehr reizvoll ist. Er ist ziemlich zugewachsen, wir fühlen uns wie Pioniere. Hinter jedem Baum erwarten wir einem Hirsch, ein Eichhörnchen, ein Reh. Zauberhaft ist der Wald, wunderschön. Obwohl wir fast auf den Zehenspitzen gehen und nur flüstern, will sich einfach kein Tier zeigen. Das ist nicht schlimm, wir geniessen es trotzdem. Kurz darauf erreichen wir den offiziellen Weg, was daran erkennbar ist, dass er gemäht ist. Auf der Alpe di Quadrella ist eine erste Pause fällig, gleichzeitig setzt Nieselregen ein. Nicht das, was wir uns wünschen, wir lassen uns aber die gute Laune nicht verderben. Als Lohn hört es auch bald wieder auf zu regnen.

Nun ist der Pass nicht mehr weit, wir können ihn durch die Bäume hindurch erahnen. Noch ein paar Minuten, und wir stehen auf dem Passo Quadrella. Das Walserdorf sieht man noch nicht, dazu müssen wir noch höher steigen. Der Weg direkt hinunter führt zur Grossalp und nach Bosco Gurin. Uns steht aber nicht der Sinn nach abwärts gehen, deshalb steigen wir lieber nochmals ein wenig hoch und erreichen in einem Bogen die Bergstation des Sesselliftes (abgesehen von ein paar Gämsen gibt es nichts Nennenswertes zu berichten). Es ist zwanzig nach zwölf Uhr, der Sessellift hat soeben Mittagspause bis 14 Uhr. Was machen? Zu Fuss absteigen kommt bei den Kindern schlecht an, wir haben noch bis zwei Zeit zu überlegen. Und entschliessen uns dann für die Monstertrotti, Riesengefährte mit fetten Pneus, ideal,  um auf der Alpstrasse hinunter zu fräsen. Ich fahre voraus, die Kinder hinten nach. Als ich mich mal kurz umdrehe, sind sie schon wieder am Springen. Unterwegs liegt die Capanna Grossalp, an der wir nicht einfach vorbei fahren, sondern noch kurz einkehren, bevor wir endgültig nach Bosco Gurin brettern. Unsere dreitägige, absolut geniale Wanderung endet damit, pünktlich mit dem nun wieder einsetzenden Nieselregen.

Infos

Anreise: Bus Locarno – Spruga
Rückreise: Bosco Gurin – Cevio – Locarno
Route: Spruga – Passo del Bùsan – Capanna Arena – Passo della Cavegna – Cimalmotto – Passo Quadrella – Bosco Gurin
Schwierigkeit: T2
Ausrüstung: Normale Wanderausrüstung für mehrere Tage
 

1. Etappe
Distanz: 9 km
Wanderzeit: 3 1/2 h
Aufstieg: 975 m
Abstieg: 420 m
Route: Spruga – Alpe Pian Secco – Alpe Pesced – Passo del Bùsan – Capanna Arena
Vom Passo del Bùsan aus kann noch der Pilone bestiegen werden.
Übernachtung: Capanna Arena (www.vs-wallis.ch/tessin/huetverz/arena.html). Die Hütte ist nicht bewartet, das Essen muss selber mitgenommen werden.
2. Etappe
Distanz: 14.5 km
Wanderzeit: 4 1/2 h
Aufstieg: 680 m
Abstieg: 900 m
Route: Capanna Arena – Alpe Porcaresc – Passo della Cavegna – Alpe di Sfii – Cimalmotto
Übernachtung: Rifugio La Regia in Cimalmotto (www.dinodb.ch) oder Locanda Fior di Campo (fiordicampo.ch) in Campo Vallemaggia
3. Etappe
Distanz: 7 km (bis Station Rossbode)
Wanderzeit: 2 1/2 h
Aufstieg: 800 m
Abstieg: 290 m
Route: Cimalmotto – Quadrella di Fuori – Passo Quadrella – Grossalp – Bosco Gurin
Übernachtung in Bosco Gurin: Hotel Walser (eher gehobene Ansprüche), Herberge Giovanibosco (günstig, Essen im Hotel Walser)

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