Die südwestlichste Ecke der Schweiz, das Gebiet um den Grossen St. Bernhard mit dem Val Ferret, ist ein wahres Skitourenparadies. Dieses erkundeten wir während einer Woche und können dafür Bestnoten verteilen: Kurze und lange Touren in allen Schwierigkeitsgraden warten darauf, entdeckt zu werden.

Mont Dolent in schwarz-weiss

Prolog

Einen Nachteil hat das Wallis: Es ist immer mit einer langen Anreise verbunden aus dem Aargau. Im Vergleich zu unserem Tourenleiter ist das aber noch human, er reist aus Liechtenstein an. So kommt es, dass wir erst um 11 Uhr zur Tour oberhalb der Salzminen von Bex starten. „Un peu tard“, findet der Inhaber des kleinen Spezereienlädeli, wo wir noch schnell einen Kaffee trinken. Nun denn, wir starten trotzdem, die Temperaturen sind immer noch tief. Zum Glück hat es die Tage vorher noch intensiv geschneit, so haben wir eine schöne Pulverschneedecke. Mal über Wiesen, mal durch Wälder, steigen wir hoch zum Gipfel, den wir nach knapp 1000 Höhenmetern erreichen. Die Aussicht reicht nach Leysin und sogar bis zum Genfersee mit der Grangettes.

Die Abfahrt hält nun, was der Aufstieg versprach: Schöner Pulverschnee lässt uns jauchzen, wir zeichnen unsere Spuren in die Hänge, jedenfalls dort, wo es noch geht, denn wir gehören ja eher zu den Letzten. Unterwegs ruft ein Schwarzspecht, dann sehe ich ihn auch an einer Lärche. Tipp dazu: Zuerst anhalten und dann den Vogel suchen… Die Kamera hält aber offensichtlich ein Schneebad aus. Nach der Tour halten wir nochmals im Lädeli, fragen, ob wir das Gekaufte am Tisch vor dem Haus essen dürfen. Nein, das sei nicht erlaubt, aber er habe beim Nachbarn einen Tisch und Stühle aufgestellt, da dürften wir uns hinsetzen. Quel malin!

Ein sturmumtoster Gipfel

Nach der ersten Nacht in Bourg-St-Pierre am Grossen St. Bernhard starten wir direkt vom Hotel aus zur zweiten Skitour. Die Waldstrasse verspricht keine grösseren Probleme, bis wir aber zu einem Felssturz kommen, der die Strasse verschüttet hat. Wir müssen kurz die Skier ausziehen und über die Felsblöcke zirkeln, bevor es gemütlich weiter geht. Nach der Waldgrenze erreichen wir bald einen Stall, vor dem wir eine kurze Rast einlegen, bevor es weiter hoch geht. War es unten noch angenehm frühlingshaft, zieht der Wind nun immer mehr an, wir ziehen die Jacken wieder an. Ein letzter Hang trennt uns noch vom namenlosen Gipfel. Der Wind geht allmählich in einen Sturm über, wir machen die Schotten dicht. Wir kriegen ein grossartiges Panorama präsentiert, es ist aber schwer dieses zu geniessen, der Sturm tobt unerbittlich. Dadurch wird das Entfellen auch nicht einfacher. Wir nennen den Gipfel deshalb „Mont Tempête“.

Wir verweilen nicht lange, sondern stürzen uns in die Pulverschneeabfahrt in der Hoffnung, dass der Sturm weiter unten nachlässt. Es ist wieder eine Abfahrt zum Geniessen, der Wind konnte dem Schnee nichts anhaben. An der Waldgrenze, beim ersten trockenen Plätzchen, legen wir eine längere Pause ein, bevor wir die Waldstrasse abfahren.

Rollende Planung

Die dritte Tour startet bei der Staumauer des Lac des Toules. Steil geht es den Hang hoch bis zu Fournoutse. Unser Mathematiker studiert die Karte und meint, wir würden sogar noch 20 Höhenmeter gewinnen, wenn wir da dem Hang entlang folgen. Es geht denn auch mehr oder weniger geradeaus, irgendwann dann abwärts. Und abwärts bis zur Ebene. Wir fragen ihn, wo denn diese 20 Höhenmeter jetzt seien. „Mathematiker können nicht rechnen, nur den mathematischen Beweis erbringen“, kontert er. Okay. Erst bei Les Planards steigt der Weg wieder an. Die Gruppe hat sich in die Länge gezogen, ich bin ziemlich weit hinten, weil mir die Nordhänge, die wir hoch wollen, nicht behagen. Christoph, der Tourenleiter, stapft voran, bis er meint, dass sich das nicht lohnt, der Schnee sei schlecht. Gut, bin ich weit hinten, so spare ich ein paar Meter.

Wir wenden uns jetzt den Südhängen zu, steigen hoch Richtung der Pointe des Gros Six. Hier scheint der Schnee sehr vielversprechend, aber warten wir mal die Abfahrt ab. Auf dem Gipfel stürmt es wieder, aber nicht mehr so heftig wie am Vortag. Im Val Ferret, in das wir nun blicken können, wabern die Nebel, es sieht grossartig aus. Wir geniessen die fantastische Aussicht auf die Walliser Berglandschaft. Und obwohl wir hier auf 2500 Meter oben stehen, sind die meisten Berge noch höher.

Von der anderen Seite ist ebenfalls eine Gruppe aufgestiegen. Wir fahren ungefähr der Aufstiegsspur entlang ab, sie wählen deshalb eine andere, nordwärts ausgerichtete Variante. Der Anfang der unsrigen ist schon mal erstklassig: Feiner Pulverschnee erfreut uns. „Immer dem gerippelten Schnee nach“, lautet die Devise des Tourenleiters. Das machen wir, und damit fahren wir gut. Sehr gut. Jauchzend nehmen wir Hang für Hang. Die Variante der anderen Gruppe scheint nicht annähernd so gut zu sein, sie machen grosse Kurven, zirkeln irgendwie den Hang runter. Wir geniessen weiter den Schnee bis zur langen Ebene. Ohne allzu viel Stockeinsatz lassen wir diese hinter uns, fahren ab zur Staumauer, wo unsere Tour endet. Erfolgreich.

Zwei aufs Mal

Für die nächste Tour starten wir von der neuen Unterkunft aus in La Fouly im Val Ferret. Wir steigen hoch durch lichten Lärchenwald, ab der Waldgrenze steigen wir auf einem breiten Rücken hoch auf den ersten Gipfel, La Dotse (2491 müM.). Endlich mal nicht so ein Sturm, so dass wir die Aussicht in Ruhe geniessen können.

Da es noch früh am Tag ist, liegt auch der Nachbargipfel drin, der Tête de Ferret, mit 2713 müM. doch ein paar Meter höher. Ein langer Verbindungsgrat gilt es zu überwinden, was die Frage aufwirft: Felle runter oder nicht? Da mir dieses Felle-runter-Felle-drauf-Felle-runter-Felle-drauf-Felle-runter ziemlich auf den Sack geht, entscheide ich mich für die Fellvariante, ein Teil der Gruppe gönnt sich eine Abfahrt, damit sich wenigstens das Abfellen lohnt. Die Abfahrt lohnt sich allerdings nicht.

Auf der Tête de Ferret stürmt es wieder heftiger. Da ich einen grossen Vorsprung auf die anderen habe, kann ich mich in Ruhe umsehen. Da überkommen mich plötzlich Emotionen, ich bin völlig ergriffen von der Grossartigkeit der Bergwelt, meine Augen werden feucht. Wie klein und unbedeutend sind wir doch! Allmählich kommen auch die anderen, wir halten uns nicht länger als nötig auf und machen uns zur Abfahrt bereit.

Der oberste Teil verspricht nicht allzu viel, der Schnee ist windgepresst. „Ich habe die beiden Modis (Frauen) abfahren sehen auf die Nordseite, das wird nichts“, meint der Tourenleiter. Also fahren wir südseitig ab, was sich wieder als sehr gute Entscheidung entpuppt. Wir zeichnen elegante Kurven in den Hang, dass es eine Freude ist. Hang um Hang nehmen wir, bis wir in der Ebene ankommen. Nun ist der Spass vorbei, der Weg das Tal aus noch lang. Das Stöckeln gibt dafür starke Arme.

Ein Ruhetag

Vor der grossen Tour am nächsten Tag soll es ein Ruhetag geben. Da wir wissen, was der Tourenleiter unter Ruhetag versteht, kriegt er ein Höhenmeterkontingent von 800 Meter. So machen wir uns auf zur Crêtet de la Perche, steigen hoch. Vom Grat beäugt uns kurz eine Gämse, dann frisst sie unbeeindruckt weiter. Wir scheinen keine Gefahr zu sein. Auf dem Gipfel stellen wir fest, dass der Schnee gerade richtig angeschmolzen ist. Also nichts wie Felle runter und abfahren, wiederum in gutem Sulzschnee. Trotz des Gegenaufstiegs hält der Tourenleiter die Höhenmeter ein, 764 Meter sind es am Schluss der Tour.

Hoch hinaus

Für den Höhepunkt der Woche, den Grand-Luy (3508 müM.), müssen wir früh raus, der Wecker klingelt um Viertel vor drei Uhr. Eine Stunde später starten wir, noch gänzlich von Dunkelheit umhüllt, zur Tour auf den Grand-Luy. Der Schnee ist hart gefroren. Wir queren das Tal zügig, dann steigt der Weg an, es wird steiler, was das Vorwärtskommen auf dem harten Schnee mühsam macht. Wir fixieren die Harscheisen, jedenfalls fast alle. Einer stellt fest, dass er die falschen eingepackt hat, nun trägt er halt die Skis in dem steilen Stück.

Wir müssen die Moräne queren, die zum Teil vereist ist, danach wird es wieder flacher, so dass auch der mit den falschen Harscheisen wieder auf Skis gehen kann. Eine Sternschnuppe zischt über den Himmel, kurz darauf taucht ein anderes Objekt auf. Zuerst glaube ich, es handle sich um eine langsame Sternschnuppe, aber das kann gar nicht sein. Eine Lichterkette zieht über uns hinweg. Christoph liefert dann die Erklärung: Das sind Satelliten der Starlink-Projektes von Elon Musk, die sich wie auf einer Schnur aufgereiht folgen.

Der Tag ist nun angebrochen, wir passieren die Cabane de l’A Neuve, die noch in tiefstem Winterschlaf verharrt. Auf rund 3200 Meter wird es nochmals etwas steiler, wir rutschen wieder und kämpfen. Unseren Ältesten scheint das nicht zu kümmern, er telefoniert, macht Spitzkehren, immer mit dem Handy am Ohr. Wir erreichen das Skidepot unterhalb des Gipfels. Ab hier geht es zu Fuss weiter. Endlich wieder mal Pickel und Steigeisen benutzen!

Gipfel sonder Zahl

Wir steigen zuerst die Schneeflanke hoch bis auf den Grat, dann über diesen auf den Gipfel. Was für ein wunderbares Erlebnis! Diese Ansicht teilen nicht ganz alle, wir stehen schlussendlich zu fünft auf dem Gipfel. Einfach sagenhaft, diese Aussicht! Ein unbeschreibliches Gefühl und eine Freude überfällt mich, wieder mal so etwas zu erleben. Gipfel sonder Zahl erheben sich, und wieder sind viele höher als unserer, der immerhin 3508 Meter misst. Viele Viertausender sind zu sehen, Weisshorn, Dent Blanche, Matterhorn, Grand Combin und so weiter.

Nordwärts entdecken wir das Bivouac de l’Envers des Dorées, wo wir 1997 einen Teil der JO-Tourenwoche durchführten. Und die Besteigung der Aiguille du Chardonnet war 1996 ein Teil der Leiterprüfung des J+S-Leiterkurses 2. Ach, so viele Erinnerungen kommen wieder hoch.

Wir machen uns auf den Rückweg zum Skidepot. Die Abfahrt entpuppt sich diesmal als nicht sonderlich schön, der Pulver fliegt in Platten davon, in Fachkreisen spricht man auch von Carton de Blamage. Wir kämpfen uns nach unten, aber nur bis zur ersten Steilstufe. Dort wurde der Schnee direkter von der Sonne beschienen, so dass er sich gesetzt hat. Nun ist die oberste Schicht angeschmolzen, ein feines Sülzli lädt zum beschwingten Skifahren ein. Quel plaisir! Christoph findet immer wieder die richtige Exposition, so dass wir immer guten bis ausgezeichneten Sulzschnee haben. Selbst unten, wo wir nur noch Pflotsch, also tiefen Nassschnee erwarten, ist der Schnee überraschend gut. Bald sind wir zurück im Hotel und beim Bier. Was für eine Wahnsinnstour, einfach perfekt vom Anfang bis zum Schluss!

Eine letzte Tour noch

Wollen wir überhaupt noch eine Skitour unternehmen? Toppen kann man die Tour auf den Grand-Luy sowieso nicht. Wir gehen trotzdem nochmals. Ein langer, flacher Marsch durchs Tal bis fast zuhinterst, meine Zehen leiden bereits wieder. Endlich geht es aufwärts. Ich prüfe den Schnee mit dem Skistock, könnte nicht schlecht sein: Bereits leicht angeschmolzen. Ziel ist diesmal der Grand Six Blanc, wir steigen von Süden her auf. Der Wind ist sehr launisch, mal weht er kalt um die Ohren, mal gar nicht, dann wird es sofort warm.

Auf einer ersten Ebene machen wir eine kurze Pause und beratschlagen, was wir tun wollen, den der geplante Aufstieg auf den Gipfel ist von einer riesigen Lawine verschüttet. Wir definieren kurzerhand eine Erhebung im Schnee als Gipfel und steuern diesen an. Im letzten Hang macht es plötzlich laut vernehmbar „wumm“! Wir bleiben sofort stehen, aber Christoph meint, der Hang sei jetzt entlastet, die Gefahr gebannt. Na ja. Es sind sowieso nur noch ein paar Meter zu unserem auserkorenen Gipfel. Dort entledigen wir die Skier der Felle und geniessen die Aussicht, halt nicht von einem richtigen Gipfel.

Die allerletzte Abfahrt in dieser Tourenwoche steht an, der erste Hang ist sosolala. Dann aber folgt ein Pulverschneehang dem nächsten, dabei hat es eine Weile nicht mehr geschneit. Ein Traum! Weiter unten geht der Pulverschnee fast nahtlos in Sulzschnee über, und wir haben die ganzen Hänge für uns alleine. Wer hätte das gedacht, dass wir auch noch auf der letzten Skitour solche Verhältnisse geniessen können! Wir sind ganz geflasht, werden aber am Fusse des Berges schnell in die Realität zurückgeholt, denn nun müssen wir im flachen Talboden wieder nach La Fouly fahren. Dies geht gar nicht so schlecht, wir müssen kaum stöckeln.

Zurück im Hotel feiern wir die letzte Tour, die Tourenwoche, den Schnee, ja die ganzen Ferien nochmals. Was für eine tolle Woche!

Info

Die Region um den Grossen St. Bernhard bietet schier endlose Möglichkeiten, von der einfachen Skitour für Anfänger bis zu grossen kombinierten Skihochtouren. Ideale Ausgangspunkte sind Bourg-St-Pierre, die letzte Ortschaft vor der italienischen Grenze, und La Fouly im Val Ferret, einem Seitental des Val d’Entremont.

Unser Hotel in La Fouly
Unser Hotel in La Fouly

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