Herbstzeit ist Zugzeit, da gibt es auch viele Migranten aus dem noch höheren Norden im Wattenmeer. Wir wollten uns dieses Spektakel selber mal anschauen und sind für zwei Wochen nach Juist, einer ostfriesischen Insel, gefahren.

Der funktionslose Leuchtturm in der Abendsonne

Warum Juist?

Die ostfriesischen Inseln liegen dem Wattenmeer vorgelagert und sind der erste Landriegel für die Vögel, wenn sie übers Meer kommen. Entsprechend beliebt ist sie als Rast- und Überwinterungsgebiet. Die Inseln liegen mitten im Nationalpark Wattenmeer. Zur Auswahl standen mehrere Inseln. Für uns war entscheidend: Auf Juist bewegt man sich zu Fuss, mit dem Fahrrad oder mit der Pferdekutsche, es gibt keine Autos. Wie entspannend das ist!

Ankommen

Logischerweise kommt man auf einer Insel mit dem Schiff an, jedenfalls auf so einer kleinen. Da die grosse Fähre sehr tidenabhängig ist, fährt sie nur einmal am Tag. Wir reisten deshalb im Nachtzug bis Bremen und von dort über Emden nach Norddeich, wo die Fähren nach Juist jeweils ablegen. Um keinen Stress zu haben, übernachteten wir einmal in Norddeich und nutzten den Rest des Tages, um dem Ufer entlang zu schlendern. Schon da konnten wir einige Beobachtungen machen, es hatte viele Rotschenkel und Steinwälzer. Am Abend speisten wir in einem der zahlreichen Restaurants. Anschliessend gab es einen richtig romantischen Sonnenuntergang, der schon fast kitschig zu nennen ist.

Die Überfahrt

An nächsten Morgen hatten wir noch viel Zeit, wir frühstückten zuerst im Hafenrestaurant, unternahmen dann eine Runde am Rande des Nationalparkes, bevor wir nach dem Mittag die Fähre nach Juist bestiegen. Selbst vom Schiff aus gab es viel zu sehen, Austernfischer und Grosse Brachvögel wateten im Schlick. Und dann, etwas weit weg, aber gut sichtbar: Die Seehundbank! Dutzende der kleinen Robben lagen entspannt an der Sonne. Da die Flut noch nicht hoch genug war, dümpelte das Schiff vor der Küste von Juist, wo ein kleiner Seehund uns erfreute. Plötzlich rumpelte es leicht. „Jetzt hat das Schiff den Boden gestreift“, sagte ich zur Frau. Sie glaubte es nicht, bis der Kapitän diese Durchsage machte: „Wie Sie gemerkt haben, haben wir leicht den Boden gestreift. Das ist kein Grund zur Sorge, aber halten Sie sich von Treppen und Türen fern.“ Die Schiffe müssen einer genauen Route folgen, die mit Bojen markiert ist. Kurz vor der Hafeneinfahrt begrüsste uns ein Seeadler. Da wir mit einem Zusatzschiff gefahren waren, mussten wir aufs Gepäck warten, das mit der Hauptfähre kam.

Das Dorf

Wie erwähnt ist Juist komplett autofrei. Es ist klein und überschaubar, so dass alles zu Fuss erreichbar ist, Hotel, Restaurants, Strand. Die Auswahl an Restaurants ist gross und sie sind beliebt, Reservation ist sehr von Vorteil. Wir waren zwei Mal im „Hummer Köbes“ und assen beide Male ausgezeichnet, die Bedienung war sehr gut. Für Kaffee und Kuchen gingen wir jeweils ins „Baumanns Kaffeehuus„. Fast zu spät entdeckten wir das „Lütje Teehuus“ mit dem grossen Kuchenbuffet. Während der zwei Wochen hatten wir eine Wohnung mit Blick auf den Deich und das Meer gemietet.

Für weitere Strecken an die Enden der Inseln mietet man sich ein Fahrrad, es gibt zahlreiche Vermieter.

Auf Umwegen an den Strand

Den Strand erreichten wir über einen Umweg via Wilhelmshöhe, einem Restaurant. Natürlich gingen wir dort nicht vorbei, ohne noch einzukehren. Auf der anderen Seite geht es zum Sandstrand hinunter, er ist lang und breit und auch im Herbst ziemlich bevölkert, aber wohl kein Vergleich zum Sommer. An der Wasserkante entdeckten wir kleine, weisse Vögel: Sanderlinge, eine kleine Limikole, die in Europa nur auf Spitzbergen brüten. Sie hatten also schon eine lange Reise hinter sich. Sie sind richtig süss, wie sie mit dem Wasser vor- und zurückrennen und dabei im Sand nach Nahrung stochern. Der Schnabel ist übrigens, wie bei den meisten Schnepfenvögeln, nicht starr, sondern sie können die Spitze spreizen, er funktioniert dann wie eine Pinzette. Beachte dazu auch das zweite Bild.

Natürlich gibt es nicht nur Sanderlinge, gelegentlich gesellen sich auch Sandregenpfeifer dazu. Viele Möwen halten sich am Strand auf, Silbermöwen, Heringsmöwen, Mantelmöwen und Lachmöwen. Vereinzelte Brandseeschwalben und Zwergseeschwalben kann man auch beobachten. Das Meer sollte man immer absuchen, im Herbst ziehen jeweils ganze Schwärme von Ringelgänsen und Weisswangengänsen zum Überwintern auf die ostfriesischen Inseln. Zwei Mal konnten wir (wohl die selbe) junge Trottellumme beobachten, ein Vogel der Hochsee. Und wenn man ganz genau aufs Meer schaut, entdeckt man vielleicht auch mal einen Seehund, der kurz auftaucht.

Um den Hammersee

Der Hammersee liegt östlich von Loog, einem Dorfteil von Juist. Den See gibt es erst seit 1932. 1651 wurde die Insel durch eine Sturmflut zweigeteilt. Erst ab 1870 begann die Versandung, mit einem Deich wurden die beiden Inselteile wieder vollständig vereinigt. Eine weitere Sturmflut während des Baus liess den Hammersee entstehen.

Wir haben ihn zu Fuss via Strand erreicht. Bei der Umrundung sieht man nicht sehr viel vom See, es gibt nur ab und zu Lücken im Gebüsch, das einen Blick aufs Gewässer zulässt. Am westlichen Ende gibt es auf einer Düne einen Aussichtspunkt. Wir wanderten am anderen Ufer zurück, das noch mehr mit Sträuchern und Bäumen bewachsen war.

Am Billriff

Das Billriff erreicht man am schnellsten mit dem Fahrrad. Ein Parkplatz nimmt alle die Räder auf. Bei unserer Ankunft war er jeweils leer, als wir zurückkamen, hatte es fast keinen Platz mehr. Es gibt schon auf der Anfahrt einiges zu sehen, Rehe zum Beispiel, die zehn Meter neben der Strasse friedlich ästen, ohne uns eines Blickes zu würdigen. Oder Goldregenpfeifer auf einer Wiese, daneben Kurzschnabelgänse, was offenbar eine besondere Beobachtung war, gemessen an der Reaktion auf unseren Eintrag auf ornitho.de. Ein Sperber erlebte ausnahmsweise die Rolle des Gejagten, er wurde von Rabenkrähen verfolgt.

Vom Parkplatz geht es zu Fuss weiter, wir sind wieder mitten im Nationalpark. Bei Ebbe kann man auf den Schlickbänken Grosse Brachvögel, Austernfischer, Brandgänse, Weisswangengänse und Pfuhlschnepfen finden.

An der Düne vorbei gelangt man aufs Riff, einer weiten Sandfläche. Auf den ersten Blick scheint es eine riesige Ödnis zu sein, auf den zweiten pulsiert das Leben dort. Einmal überraschten wir einen kleinen Seehund, der etwa 300 Meter vom Meer entfernt ruhte. Wir blieben natürlich sofort stehen und ermöglichten ihm, ins Meer abzutauchen. Eilig hatte er es dabei nicht oder es war wirklich anstrengend für ihn, 300 Meter über den Strand zu robben. Das gab aber der Gruppe mit dem Ranger auch die Möglichkeit, den Seehund durch unser Fernrohr anzuschauen.

Ein anderes Mal stiessen wir auf einen kleinen Trupp Ohrenlerchen, eines der grössten Highlights unserer Ferien. Die Ohrenlerche ist ein Vogel der kargen, steinigen Regionen wie in der arktischen Tundra und dem Fjäll oder in den Gebirgen von Südosteuropa. In Nordamerika ist sie fast flächendeckend verbreitet mangels Konkurrenz durch andere Lerchen.

Natürlich findet man auch hier Möwen, aber auch ganze Schwärme von Sandregenpfeifern, Alpenstrandläufern und anderen Limikolen. Ein besonderes Erlebnis war, als ich die Sandregenpfeifer fotografierte, als diese plötzlich aufflogen. Daraufhin flogen auch die Alpenstrandläufer auf, eine riesige Wolke von Vögeln war in der Luft! Der Grund? Erst auf dem Computer entdeckte ich einen grossen, schwarzen Vogel, den ich als Schmarotzerraubmöwe identifizierte. Sie ist keine direkte Bedrohung für die Vögel, aber es reichte wohl, um Unruhe zu stiften.

Impressionen vom Billriff

Zum Kalfamer ans andere Ende

Mit den Fahrrädern radelten wir zum Flugplatz von Juist, um zum Kalfamer zu wandern, dem östlichen Ende der Insel. Weit kamen wir nicht, wegen der vorangegangenen Sturmflut waren die Wege unter Wasser. So kehrten wir um und versuchten es jenseits der Düne. Aber auch da trafen wir immer wieder auf überflutete Wege, so dass wir den Kalfamer nicht erreichten.

Dafür entdeckten wir einen Seehund, natürlich aus der gebührenden Distanz. Überall steht, man solle mindestens 300 Meter Abstand halten von den Tieren, um sie nicht zu stressen. Und dann gibt es Typen wie den.

Auch beim Hafen ist etwas los

Beim Hafen, wo die Schlickflächen sind während der Ebbe, ist ebenfalls ornithologisch viel los. Allerdings muss man den richtigen Zeitpunkt erwischen. Bei Flut sind kaum mehr Vögel da, bei totaler Ebbe verteilen sie sich weit draussen im Watt. Dafür gibt es Brandgänse, Austernfischer, Rotschenkel, Ringelgänse und viele andere zu sehen. Zur Abwechslung kann man das Wahrzeichen von Juist, den segelförmigen Turm, besteigen, allerdings nur etwa bis zur Hälfte, der obere Teil ist verschlossen.

Auf dem Otto-Leege-Pfad

Otto Leege, geboren 1862, war ein Lehrer und ein Pionier des Naturschutzes. Er sorgte dafür, dass das Gemetzel an den Vögeln, die aus purem Spass abgeschossen wurden, endete und grosse Teile der Insel unter Naturschutz gestellt wurden, die benachbarte, unbewohnte Insel Memmert gar vollständig. Ihm zu Ehren wurde der Otto-Leege-Pfad angelegt.

Diesen wanderten wir natürlich ab. Er startet auf dem Weg zum Flugplatz, eine Holzplattform mit anschliessendem Steg gibt einen guten Überblick über das Gebiet. Tafeln erklären verschiedene Aspekte zum Wattenmeer, der Insel Juist und zu Otto Leege. Auch für Kinder gibt es interessante Installationen, zum Beispiel die Windharfe oder die Klangschale, wo man das Wasser zum Hüpfen bringen kann.

Der ganze Pfad ist rollstuhl- und kinderwagengängig, ausser der Weg über die Düne an den Strand, den wir nahmen. Von der Düne oben hat man einen schönen Ausblick. Über den Strand gelangt man wieder zurück ins Dorf.

Tiere vor der Haustüre

Für uns völlig ungewohnt waren die Tiere, die da ganz selbstverständlich am Rande der Siedlung oder gar im Wohngebiet umherspazierten: Auf dem Deich und den Wiesen am Dorfrand hoppelten ganz unbekümmert Hasen umher, Jagdfasane hielten sich in den Gärten auf. Hier hat es auf einer Are mehr Hasen als bei uns im ganzen Wynental. Auch Kaninchen findet man unter den Hasen, die sind aber etwas scheuer. Ich vermute mal, diese grosse Zahl an Hasen und Fasanen hat damit zu tun, dass es wohl keine Füchse auf der Insel gibt.

Infos

Lage

Quickinfos

Warum Juist?
  • Autofrei
  • Liegt im Nationalpark Wattenmeer
  • Ruhig
  • Entschleunigt
  • Ganz viel Natur
  • (Zug-)vögel
Anreise Ab Basel mit dem Nachtzug nach Bremen, von dort via Emden nach Norddeich.
Erreichbarkeit Von Norddeich mit der Fähre, Expressfähre oder dem Schnellboot. Je grösser das Schiff, desto mehr tidenabhängig.
Touristeninformationen www.juist.de
Birderinfos Birdingplaces Juist
Nationalpark Wattenmeer Nationalpark Wattenmeer Niedersachsen

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